Wie Künstliche Intelligenz das Lernen und Prüfen verändert
„Die Prüfungsformate müssen sich ändern“
Seitdem Künstliche Intelligenz (KI), etwa in Form von ChatGPT, von jedem genutzt werden kann, ist auch die Diskussion darüber entbrannt, was dies für die Schule bedeutet. Wird das Lernen effektiver oder werden die Hausaufgaben künftig massenweise von der KI erledigt? Werden Lehrkräfte ent- oder eher belastet? Was bedeutet dies alles für Prüfungen und Noten? Und wie kann ein sinnvoller Umgang mit KI in der Schule aussehen? Das haben wir den Schulberater und Fachreferenten für KI in der Schule, Andreas Terfloth, gefragt.
Herr Terfloth, ist die Nutzung von KI ein Problem für die Schulen, für die Lehrkräfte?
Andreas Terfloth: Es ist auf jeden Fall eine Veränderung und jede Veränderung kann man ja entweder als Chance oder als Problem wahrnehmen und ich würde sagen, die KI-Tools sind beides zugleich. Das Problem ist, dass Schülerinnen und Schüler jetzt die Möglichkeit haben, Lernen zu ersetzen, also das sogenannte Skill Skipping durchzuführen, indem sie KI-Tools nutzen, um keine eigenen Texte mehr erstellen zu müssen und so das eigene Lernen überspringen. Sie können sich aber auch ganz neu mit Lerninhalten auseinandersetzen und kreative Wege wählen, die es vorher noch gar nicht gab.
Das heißt ganz konkret?
Andreas Terfloth: Ganz konkret können Schülerinnen und Schüler jetzt sehr viel dialogischer mit Lerngegenständen umgehen, indem sie zum Beispiel mit einem Chatbot interagieren. Sie können selbst Dinge entwickeln, sie können Bilder erstellen, Videos erstellen, sie können selbst Programme entwickeln, und somit selbst sehr aktiv in den Lernprozess einsteigen.
Unsere Empfehlung für Lehrkräfte
Und was ist mit den Schülerinnen und Schülern, die die KI einfach ihre Hausarbeit schreiben lassen?
Andreas Terfloth: Das Problem gab es im Grunde schon immer. Hausarbeiten konnten und können auch von anderen Personen erledigt werden. Diese Betrugsversuche erkennt man zum Beispiel daran, dass die Sprache anders ist, dass Wissen vorkommt, das diese Schülerinnen und Schüler nicht haben können. Oder dass der Abstraktionsgrad viel zu hoch ist für das, was eine Schülerin oder ein Schüler in diesem Alter leisten kann. Man sollte trotzdem vorsichtig sein, denn manchmal wird den Schülerinnen und Schülern auch zu Unrecht vorgeworfen, KI genutzt zu haben. Deswegen muss man an der Stelle immer sehr sensibel sein. Und man kann Aufgaben auch so stellen, dass es nicht so einfach möglich ist, auf diese Art und Weise Hausarbeiten zu erstellen. Man kann die Schülerleistungen auch auf eine bestimmte Art und Weise überprüfen, indem die Schülerinnen und Schüler sich nämlich vor allem mündlich äußern müssen, um zu zeigen, dass sie selbst etwas können. Dass sie erklären, welchen Prozess sie genommen haben, um zu diesem Ergebnis zu kommen und welche Alternativen sie möglicherweise verworfen haben. Insgesamt ist es wichtig, pädagogisch aufzuzeigen, was eigentlich der Nutzen des Selbsterarbeitens ist und darauf auch ganz großen Wert zu legen.
Die Diskussion über alternative Prüfungsformate gab es bereits vor KI
Das heißt also, die Prüfungen selbst, die Prüfungsformate müssen, werden sich ändern?
Andreas Terfloth: Es ist meine Überzeugung, dass sich Prüfungsformate ändern müssen, dass wir sehr viel mehr auf Projektorientierung, auf Projektunterricht setzen müssen, und vor allen Dingen aber auch auf eine eher mündlich ausgerichtete Prüfungskultur. Das heißt also, dass man nicht mehr produktorientiert bewertet, sondern prozessorientiert. Ehrlicherweise muss man auch sagen, dass die Diskussion, die wir jetzt wegen des KI-Einsatzes in der Schule führen, schon länger geführt wird, was alternative Prüfungsformate angeht. Wir haben jetzt nur einen neuen Begründungszusammenhang für etwas, was auch bereits vor den Zeiten von KI pädagogisch sinnvoll war, nämlich, dass wir nicht nur individualisierte Prüfungen machen, sondern in Teams arbeiten, dass kritisches Denken und Kommunikation zwischen Schülerinnen und Schülern sehr wichtig wird und auch, dass man reale Lernorte mit einbezieht, also nicht nur im Klassenzimmer bleibt.
Die KMK fordert in ihren aktuellen Empfehlungen zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz bei Prüfungen auch die Kompetenzen zur Nutzung von KI zu berücksichtigen. Wie mache ich das als Lehrkraft?
Andreas Terfloth: Der erste Weg ist, dass ich mich natürlich selbst mit den Technologien auseinandersetzen muss und auch fähig sein muss, sie zu bedienen. Da ist eine Fortbildung sehr hilfreich. Dann ist der Austausch im Kollegium sehr wichtig, dass man untereinander gute Praxisbeispiele austauscht und schließlich das eigene Anwenden. Also dadurch, dass ich mit Schülerinnen und Schülern diese Tools gemeinsam ausprobiere und durchaus zugebe, dass ich auch noch nicht in allem die Expertin oder der Experte bin. So kann ich mich gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern auf eine Entdeckungsreise machen. Es ist sehr wichtig, herauszuarbeiten, was die Schwächen von KI sind, was man beachten muss und mit Schülerinnen und Schülern zu reflektieren, wie zum Beispiel KI zur Manipulation eingesetzt werden kann. Das lässt sich, glaube ich, als Lehrkraft sehr gut für sich selbst erarbeiten.
„Schüler müssen auf eine von künstlicher Intelligenz transformierte Welt vorbereitet werden“
In Ihren Fortbildungen präsentieren Sie auch praktische Beispiele für Unterricht und Prüfungen. Welche gibt es da bereits?
Andreas Terfloth: Es gibt eine Menge praktischer Beispiele. Wie schon gesagt, wenn man überprüfen will, ob und wie Schülerinnen und Schüler die KI für ihre Hausarbeit genutzt haben, - nämlich nur, um sich selbst Arbeit zu ersparen oder ob sie die KI sinnvoll und reflektiert genutzt haben - wählt man mündliche Prüfungen und Disputationen. Und dann gibt es Aufgaben und Prüfungsformate, für die ein Projekt erstellt werden muss, ein Podcast, ein Erklärvideo, ein Theaterstück, ein Comic und so weiter und so fort. Da sind die Möglichkeiten beinahe unendlich. Ich kann zum Beispiel eine Fake-Dokumentation zu einem bestimmten Thema erstellen. Also zum Beispiel mit der KI einen Bildatlas über die Welt im Jahr 2040 angesichts des Klimawandels erstellen. Ich kann Fake-Videos produzieren zu bestimmten Themen, zu Social-Media-Accounts, all solche Dinge, bei denen man Bild- und Videogeneration oder auch Text-to-Speech-Generatoren einsetzen kann. Das sind alles alternative Prüfungsformate. Und dann kann man aber auch klassische Prüfungsformate mit KI kombinieren. Wie es zum Beispiel der Kollege Hendrik Haverkamp vom Evangelisch Stiftischem Gymnasium Gütersloh gemacht hat. Er hat Erörterungen mit KI durchführen lassen. Das heißt, Schülerinnen und Schüler durften die KI in der klassischen Erörterung nutzen. Und sie hatten dann einen zweiten Aufgabenteil, bei dem sie die KI-Ergebnisse reflektiert haben. Oder man lässt zum Beispiel auch von Schülerinnen und Schülern selbst einen Text zu einem bestimmten Thema erstellen. Einen solchen Text lässt man auch von der KI generieren. Dann bewerten die Schülerinnen und Schüler oder auch die gesamte Lerngruppe diese Texte und reflektieren, welche Stärken der selbstgeschriebene Text im Vergleich zum KI-Text hat oder auch umgekehrt.
Das heißt, man schlägt eigentlich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits bewältigen die Schülerinnen und Schüler die tatsächliche Aufgabe, andererseits lernen sie den Umgang mit KI?
Andreas Terfloth: Genau, das ist mein Grundansatz. Also Aufgaben- und Prüfungsformate müssen einmal sicherstellen, dass Schülerinnen und Schüler Wissen und Kompetenzen erwerben und diese auch ohne KI einsetzen können. Und das Zweite ist, dass sie auf eine von künstlicher Intelligenz transformierte Welt vorbereitet werden. Und beides sollten Aufgaben und Prüfungsformate heutzutage leisten.
Zur Person
Andreas Terfloth ist ursprünglich Gymnasiallehrkraft und seit 2020 ist er freiberuflicher Schul- und Unternehmensberater und Referent, unter anderem bei der Cornelsen Akademie. Darüber hinaus forscht er zu den Potenzialen Künstlicher Intelligenz für selbstgesteuertes Lernen und pädagogische Diagnostik. Mehr über ihn erfahren Sie unter bildung digital.