Digitalisierung ist eine echte Chance, Unterricht besser zu machen
Interview mit Bettina Martin
Perspektiven sind bezüglich der Digitalisierung von Schule ein wichtiges Stichwort. Bettina Martin, Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur von Mecklenburg-Vorpommern, hat uns an ihrer Sicht der Chancen und Herausforderungen teilhaben lassen.
*Das Interview wurde vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie geführt. Auch wenn in der Zwischenzeit viel passiert ist, haben Ideen und Prioritäten der Ministerin nicht ihre Aktualität verloren.
Was bedeutet in Ihren Augen Digitalisierung an Schulen in Anbetracht der heutigen Zeit?
Die Digitalisierung durchdringt unsere Lebenswirklichkeit in fast allen Bereichen. Vor allem ist sie im Leben der Kinder und Jugendlichen bereits fest verankert. Für sie als so genannte „digital natives“ ist der Umgang mit dem Smartphone, die Kommunikation über soziale Medien und das YouTuben selbstverständlich.
Das heißt aber noch lange nicht, dass sie sich auch wirklich kompetent in dieser digitalen Welt orientieren können. Wenn wir also über Bildung in der digitalen Welt reden, geht es deshalb nicht nur um isolierte Medienkompetenzen oder die Ausstattung der Klassenräume mit digitalen Unterrichtsmitteln und -medien. Es geht auch nicht nur um einzelne Fächer, in denen Schule bestimmte Kompetenzen vermittelt. Es geht um Bildung insgesamt und um grundlegende Lebenskompetenzen. Schülerinnen und Schüler müssen lernen, sich in der Flut der Informationen im digitalen Zeitalter zurechtzufinden. Vernetztes Denken, Teamfähigkeit und problemorientiertes Lernen werden in Zukunft immer wichtiger werden. Es geht um Sicherheit im Netz, also um Datensicherheit genauso wie um Sicherheit vor Cyber-Mobbing und Cyber-Gewalt.
Welche Chancen bietet die Digitalisierung für innovative Lern- und Lehrszenarien?
Wenn wir es in den Schulen richtig angehen, dann sehr große. Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie ist dann eine echte Chance, wenn wir sie dafür nutzen, den Unterricht besser zu machen, das Lernen und das Lehren zu erleichtern. Und wichtig ist mir zu betonen: Die Grundlage für eine erfolgreiche Bildungsbiographie ist nach wie vor, dass alle Kinder erstmal richtig Lesen, Schreiben und Rechnen lernen.
Der Digitalpakt von Bund und Ländern ermöglicht es uns in MV, über 100 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren in die digitale Ausstattung unserer Schulen zu investieren. Schon jetzt gibt es bei uns viele Schulen, die bereits digitale Medien intensiv einsetzen. Doch Ziel muss es sein, dass alle Schulen diesen Weg gehen können. Mit dem DigiPakt werden wir dieses Ziel erreichen können. Digitale Angebote müssen überall verstärkt Einzug halten in den Fachunterricht. Wie gut das gelingt, wird großen Einfluss haben auf den zukünftigen individuellen Erfolg der Kinder und Jugendlichen. Schon heute gibt es kaum einen Beruf mehr, in dem nicht digitale Kompetenz und digitales Wissen gefragt sind. Das wird sich in Zukunft noch verstärken. Hier haben wir eine große Verantwortung, die Kinder darauf vorzubereiten.
Welche Herausforderungen bringen die Digitalisierung und die Umsetzung des Digitalpakts mit sich? Wo hakt es konkret?
Ich habe viele Schulen besucht, an denen die Digitalisierung schon selbstverständlich den Schulalltag mitprägt. Aber ich weiß auch, dass es Schulen gibt, die noch nicht einmal ans schnelle Internet angeschlossen sind. Diese Unterschiede müssen wir abbauen, indem wir als Landesregierung die Schulen in MV prioritär ans Glasfasernetz anschließen. Erst dann macht es auch Sinn, sie mit guter digitaler Infrastruktur auszustatten.
Zweitens geht es darum, die Lehrerinnen und Lehrer mitzunehmen. So aufgeschlossen die meisten sind, so skeptisch mögen andere sein. Wichtig ist nicht nur das Vermitteln neuer Inhalte, sondern auch die Sicherheit dabei, die neue Technik pädagogisch sinnvoll und sicher im Unterricht einbinden zu können. Das sind auch ganz praktische Fragen: Welche Apps taugen für den Fremdsprachenunterricht? Wie lassen sich naturwissenschaftliche Phänomene visualisieren? Wie lassen sich Schülerinnen und Schüler für Datenschutz und Privatsphäre sensibilisieren?
Lehrkräfte brauchen gute Fortbildungsangebote, mit denen sie diese Fragen beantworten können. Und natürlich müssen wir diese Themen fest in der Lehramtsausbildung verankern.
Welche Rolle schreiben Sie der Fortbildung von Lehrkräften zu, um die Mediennutzung im Unterricht flächendeckend zu realisieren?
Wir wollen mit unserem Fortbildungskonzept alle Lehrerinnen und Lehrer erreichen. Schon bisher hat unser Angebot einen Themenschwerpunkt in der Digitalisierung gesetzt. Das war wichtig, um auch die Einführung des DigiPakts gut vorbereiten zu können. Zusätzlich zu den vielen laufenden Fortbildungsangeboten unseres Instituts für Qualitätsentwicklung haben wir im September einen ersten großen Medienbildungstag veranstaltet. Auch unsere jährlichen Schulkongresse und die beliebten Sommerakademien widmen sich immer wieder Themen digitaler Bildung.
Lehrkräfte, die eine große Medien-Affinität besitzen, arbeiten im Land als so genannte medienpädagogischen Multiplikatoren. Sie stehen im Rahmen der Einführung des DigiPakts vor Ort den Kolleginnen und Kollegen oder auch Schulleitungen bei praktischen Fragen oder Problemen zur Seite. Jede Schule hat einen Anspruch auf zehn Stunden Beratung durch diese Fachleute, um praktische Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Auch mit der Wartung der digitalen Technik lassen wir die Schulen nicht allein. Sie obliegt dem Schulträger.
Wo sehen Sie gegebenenfalls inhaltliche Schwerpunkte für Fortbildungen?
Wir haben bei der Ausrichtung der Fortbildungen den Fokus auf die Didaktik gelegt. Genauso wichtig ist es aber, dass die Lehrerinnen und Lehrer, die noch Berührungsängste mit Apps, Tools und Plattformen haben, diese durch die Fortbildungen abbauen.
In den Schulen erleben wir immer wieder, dass Lehrer, die zunächst skeptisch waren, eine positive Haltung entwickeln, wenn sie merken, welche neuen Möglichkeiten sie haben, wenn sie digitale Technik im Unterricht einbinden und wenn sie sehen, dass digitale Anwendungen auch ihren Arbeitsalltag vereinfachen können. Wir können Digitalisierung nicht von oben verordnen, sondern wir müssen sie vermitteln und dafür werben.
Können Lehrkräfte die Vermittlung so wesentlicher Kompetenzen überhaupt „nebenher“ bewältigen? Oder sehen Sie einen Bedarf für strukturelle Veränderungen?
Wir sehen die Digitalisierung als Kernthema. Deshalb haben wir auch bereits strukturelle Veränderungen vorgenommen. Seit dem Schuljahr 2018/2019 greift der Rahmenplan „Digitale Kompetenzen“, der für alle Schularten, Fächer und Klassenstufen gilt. Mit ihm haben wir Medienbildung übergreifend als integrativen Teil für alle Fächer festgeschrieben. Die Überarbeitung der einzelnen Fach-Rahmenpläne läuft aktuell. 35 dieser neuen Pläne sind zum Schuljahresstart in Kraft getreten.
Zudem haben wir mit diesem Schuljahr das neue Fach “Informatik und Medienbildung” für alle Kinder ab der 5. Klasse eingeführt, nachdem wir es an 21 Modellschulen im Land zwei Jahre lang erfolgreich erprobt hatten.
Was können Schulbuch-Verlage zur Bewältigung dieser Herausforderungen beitragen?
Ich sehe in den Schulbuch-Verlagen wichtige Partner darin, sinnvolles digitales Lernen in den Schulen zu ermöglichen. Sie haben ein breites Angebot an digitalen Materialien und Medien, auf das die Schulen zugreifen können. Auch für sie heißt es vor allem, Überzeugungsarbeit zu leisten: indem ihre Angebote passgenau auf die Rahmenpläne zugeschnitten und möglich nutzerfreundlich gestaltet sind. Die Lehrerinnen und Lehrer wollen außerdem wissen, was sie da anschaffen. Die Verlage müssen ihnen also zeigen, was der Vorteil an den digitalen Alternativen und Ergänzungen zum klassischen Schulbuch ist. Schulen sind zu Recht anspruchsvolle Kunden!