Inklusion / 07.12.2022

Inklusion in der Praxis

Wie können Schulen Inklusion im Schulalltag umsetzen?

Inklusion – ein Begriff, der in aller Munde ist. Seit Inkrafttreten der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen besuchen zunehmend Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder besonderer Begabung die Regelschulen. Lehrkräfte stehen vor der Frage, wie Sie den gemeinsamen Unterricht bestmöglich gestalten und allen Schülerinnen und Schülern gerecht werden können. Doch was bedeutet Inklusion eigentlich genau und wie können Schulen Inklusion umsetzen?

Herz aus Knete in den Händen
Bild: stock.adobe.com/Katerina

Was ist Inklusion?

Jeder Mensch hat das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe und individuelle Entwicklung, unabhängig von Heterogenitätsmerkmalen wie ethnisch-kultureller Zugehörigkeit, Behinderung, Gender, sexueller Orientierung, Religion o.a. Dieses Recht kann nur umgesetzt werden, wenn die gesamte Gesellschaft bereit ist, sich auf den Prozess der Inklusion einzulassen und entsprechende Strukturen zu schaffen – im Kleinen wie im Großen. Inklusion ist Aufgabe aller Mitglieder der Gesellschaft, nicht nur einzelner Personen oder Institutionen. 

Zum einen betont Inklusion die Gleichheit der Menschen – wir alle haben gleiche Bedürfnisse und Rechte. Gleichzeitig berücksichtigt der Begriff der Inklusion die Heterogenität der Menschen, die sich beispielsweise in unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, Geschlechterrollen, individuellen Fähigkeiten und Einschränkungen zeigt. 

Inklusion ist ein Prozess. Neben den notwendigen Rahmenbedingungen erfordert er eine kontinuierliche Reflexion. Veränderungen in den Strukturen, aber auch in den Haltungen und Einstellungen aller Menschen sind notwendig. „Eine gelungene Inklusion würde […] bedeuten, dass wir nicht mehr von inklusiven Einrichtungen sprechen, sondern von einer Kita für alle Kinder“, schreiben die Pädagoginnen Veronika Baur, Hilke Lipowski und Lisa Leischke-Eisinger in ihrem Buch Inklusion in der Kita – 55 Fragen & Antworten. Ein Wunsch, der sich auf sämtliche Bildungseinrichtungen übertragen lässt.

Inklusion und Integration – Zwei unterschiedliche Begrifflichkeiten 

Irrtümlicherweise werden die Begriffe Inklusion und Integration heutzutage noch häufig gleichgesetzt und synonym verwendet. Ein Missverständnis, das einem Übersetzungsfehler der UN-Behindertenrechtskonvention geschuldet war und im Schulwesen für Verwirrung sorgte. Von Integration spricht man, wenn beide Gruppen zwar in einem Klassenzimmer gemeinsam unterrichtet werden, wenn sich durch dieses aber eine unsichtbare Demarkationslinie zieht. In den integrativen Klassen wird die Koexistenz von behinderten und nicht-behinderten Schüler/-innen praktiziert, ohne dass sich diese einer solchen Kategorisierung entziehen könnten.

Demgegenüber geht das Programm der pädagogischen Inklusion von der Einzelpersönlichkeit aus – und das ohne jede voreilige Etikettierung. Jeder Lernende wird hier als Mensch behandelt, der über bestimmte Stärken und Schwächen verfügt und der so gefördert wird, wie es seine persönliche Situation verlangt.

Index für Inklusion: Standortbestimmung für die inklusive Schule

Als Material der Selbstevaluation dient der Index für Inklusion, um bestehende Bedingungen zur Inklusion an Schulen zu reflektieren. Er bietet die Möglichkeit, gemeinsam Barrieren inklusiver Arbeit zu identifizieren sowie Ressourcen aufzudecken, um so inklusive Prozesse anzustoßen oder weiter zu entwickeln. Kennzeichnend für den Index ist die inklusionsbezogene Beschreibung der Schulqualität. Er berücksichtigt alle Dimensionen der Heterogenität und verlangt für das Initiieren eines inklusiven Prozesses die Einbeziehung aller beteiligten Personen. Inhaltlich befasst sich der Index mit drei Dimensionen:

  • inklusive Kulturen schaffen
  • inklusive Strukturen etablieren
  • inklusive Praktiken entwickeln

Der Index enthält ausführliche Beschreibungen, wie ein Prozess gestaltet werden kann. Er ermöglicht die Reflexion der schulischen Situation, liefert selbst allerdings keine Lösungsansätze oder Antworten auf die diskutierten Fragen. Ein Veränderungsprozess in Schulen kann mithilfe des Index in folgenden Schritten ermittelt und angestoßen werden:

  1. Bildung einer Gruppe
  2. Analyse der Schulsituation
  3. Festlegung von Entwicklungszielen
  4. Planung nächster Schritte
  5. Umsetzung der Planungsvorhaben
  6. Reflexion

Die Ergebnisse der Evaluation sind für alle Beteiligten zugänglich und somit öffentlich zu machen. Entscheidend dabei ist, dass sich etwas, wenn auch nur ein wenig, erfolgreich verändert hat. Auch Fehler sind notwendige Beiträge zur Entwicklung.

Inklusion im Schulalltag umsetzen

Während dieses Prozesses müssen vielfältige Kompetenzen gestärkt werden. Entscheidend für das Gelingen von Inklusion sind:

  • die Schulkultur,
  • die Art des Unterrichtens,
  • die Lernmittel und
  • die konkrete pädagogische Arbeit.

Deshalb gilt es den klassischen Unterricht so zu verändern, dass unterschiedliche Voraussetzungen, Bedürfnisse und Erwartungen berücksichtigt werden können. Viele Schulen haben sich bereits auf den Weg gemacht und etablieren nach und nach das Konzept des inklusiven Fachunterrichts. Pauschale Erfolgsrezepte gibt es nicht, wahr ist aber: Individuelle Förderung ist möglich, ohne dass der Vorbereitungsaufwand ausufert.

In einem inklusiven Unterricht steigt die Komplexität der Anforderungen. Insbesondere der organisatorische Aufwand erfordert einen hohen persönlichen Zeiteinsatz. Im inklusiven Unterricht verlagern sich die Arbeitsschwerpunkte in Richtung Vorbereitung, Beratung und Lernbegleitung. Dies erfordert mehr Selbstorganisation in der Arbeit der Lehrkraft – ein diszipliniertes Selbstmanagement, was hohe Ansprüche an eigene Bewältigungsstrategien stellt. 

Begreifen Sie die Inklusion als längerfristiges Projekt, das auch in Ihrer Schule erst wachsen und gedeihen muss. Verlieren Sie nicht die Geduld, sondern probieren Sie verschiedene Modelle aus, sammeln Sie Erfahrungen und bleiben Sie offen für neue Ideen.

Wie motiviere ich Kolleginnen und Kollegen?

„Inklusion ist kein Selbstläufer. Das ist eine pädagogische Herausforderung auf hohem Niveau. Man muss die Strukturen so verändern, dass man sonderpädagogische Ressourcen und Professionen in die Regelschulen bringt, und man muss Teamstrukturen entwickeln.“ 
Prof. Rolf Werning von der Leibniz Universität Hannover

Das kann nur gelingen, wenn Sie sich von der Last des Einzelkämpfers verabschieden. Nutzen Sie Ihr heterogenes Kollegium mit allen verborgenen Kompetenzen! 

  • Wer hat Fortbildungen besucht und kann sein erworbenes Wissen einsetzen, welche Zusatzqualifikationen gibt es?
  • Wer kennt Menschen, die über besondere Kenntnisse verfügen oder therapeutische Angebote machen können?
  • Zu welchen speziellen Themen gibt es bereits ausgearbeitete Unterlagen und Materialien?

Es ist oft erstaunlich, welche Vielfalt an Fähigkeiten in einem Kollegium nutzbar gemacht werden kann. Gemeinsame Ziele für eine erfolgreiche inklusive Schule sollten auch sein:

  • Aufgaben neu verteilen
  • Teamstrukturen schaffen, die alle entlasten
  • neue Kolleginnen und Kollegen hinzugewinnen

Seien Sie mutig. Seien Sie geduldig. Und machen Sie sich stark für ein konstruktives Miteinander. Denn Inklusion kann nur gemeinsam gelingen.

Wie gelingt die Kommunikation mit den Eltern?

Auch in der Kommunikation mit den Eltern sind Strukturiertheit und Transparenz entscheidende Faktoren. Lehrerinnen und Lehrer werden vonseiten der Eltern häufig mit hohen, teils mit überhöhten Ansprüchen konfrontiert, auf die es professionell und sachlich einzugehen gilt. Machen Sie den Eltern Ihr Verständnis von inklusiver Bildung deutlich, sprechen Sie über Erwartungen und vorhandene Ressourcen. Binden Sie sie, wo es geht, in Ihre Planungen ein, verhalten Sie sich transparent und kooperativ. Durch intensives Einüben konstruktiver Elterngespräche gelingt es, die Eltern zum Wohl der Kinder „ins Boot zu holen“.

Wo bekomme ich Unterstützung?

Gelingende inklusive Arbeit ist weder durch den Einsatz einer Einzelperson noch einer einzelnen Schule zu leisten. In Zeiten leerer Kassen ausreichende personelle und finanzielle Unterstützung zu erhalten, ist schwer zu realisieren. Umso wichtiger ist es, Ressourcen zu kennen und zu nutzen sowie eine effektive regionale Vernetzung anzustreben. 

Für zahlreiche Schulprojekte können Sie Gelder aus öffentlichen oder privaten Förderprogrammen (Stiftungen) beantragen und so auch personelle Verstärkung finanzieren. Durch Kooperationen mit anderen Schulen, Bildungsträgern, Institutionen, Hochschulen oder sonstigen außerschulischen Partnern können Sie weitere Möglichkeiten ausschöpfen. Eine gut durchdachte Vernetzung schafft Flexibilität und Spielräume.

Mögliche Kooperationspartner
Förderzentren, Regelschulen, Schulträger, Jugendamt, Gesundheitsamt, Krankenhäuser, Seniorenheime, Jugendwerkstätten, Kindertagesstätten, Berufsorientierungsprojekte, Sportvereine, Musikschule, Volkshochschule, Universität/Hochschule, Museen/Theater, Vertreter der Gemeinde (Stadt, Kreis), Vertreter von ethnischen Minderheiten, lokales Gewerbe/Gastronomie, Polizei/Feuerwehr, … 

Ein Ausblick – worauf es in Zukunft ankommt

Die Diskussion über schulische Inklusion wird weitergehen. Lehrkräfte, Schulleitungen und Eltern haben Fragen und Bedenken, die sich nicht von heute auf morgen klären lassen.

  • Fühlen sich Kinder mit einem Handicap nicht schlecht, wenn sie in inklusiven Klassen merken, dass andere leichter lernen?
  • Bremst die Inklusion die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler?
  • Und wie sollen Lehrkräfte die wachsenden Anforderungen bewältigen, wenn sukzessive mehr Schüler/-innen von Förderschulen in allgemeine Schulen wechseln?

Pädagogikforscher Ulf Preuss-Lausitz hat sich viele Studien angeschaut und kommt zu dem Schluss, dass es Förderkindern in allgemeinen Schulen oft besser geht, und dass es in Inklusionsklassen nicht zu einem insgesamt niedrigeren Lernniveau kommt. 

Dass umfangreiche Aus- und Weiterbildungen für Lehrkräfte entscheidend sind für eine gute Inklusion, wird kaum bestritten. Dazu Ute Erdsiek-Rave, Inklusionsexpertin bei der deutschen Unesco-Kommission: „Ich gebe allen Lehrkräften Recht, die auf Fortbildung und Unterstützung pochen. Aber eine Haltung nach dem Motto ‚Ohne mehr Stellen, Geld und so weiter fangen wir gar nicht erst an‘, die sollte es nicht mehr geben. Inklusion ist das Recht eines jeden Kindes, und dieses Recht müssen wir gewähren.“

Klick! Fächerübergreifendes Lehrwerk für Lernende mit Förderbedarf

Klick! ist das fächerübergreifende Lehrwerk für Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen. Alle Fächerausgaben vereint ein gemeinsames, hybrides Konzept, das die optionale Nutzung digitaler Medien durchgängig integriert. Die Neubearbeitung von Klick! startet mit Englisch. Weitere Fächer sind für 2024 in Vorbereitung. 

Fortbildungen der Cornelsen Akademie

Vielfalt nutzen – Differenzieren im Unterricht (SchiLf)
Sie erfahren, wie Sie durch Verfeinerung, Abstufung und Aufteilung der Lerninhalte auch bei unterschiedlichen Begabungen und sozialen Einbettungen sowie spezifischen Lernbedürfnissen differenzieren können.

Inklusion erfolgreich auf den Weg bringen (SchiLf)
Sie erhalten im Baukastensystem eine umfassende Unterstützung auf dem Weg zur inklusiven Schule, so dass Ihre Einrichtung schrittweise eine Schule für alle Kinder wird.

Schlagworte:

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