{Klexer} Mathematik – anschaulich, strukturiert und motivierend
So gelingt inklusiver Mathematikunterricht ab der 1. Klasse.
Die Heterogenität der heutigen Schulanfänger lässt eine starre Lernzielformulierung nicht mehr zu. Im Zeitalter der Inklusion geben offene, handlungsorientierte und eigenverantwortliche Lernsituationen allen Kindern die Chance, sich Lerninhalte auf unterschiedlichem Niveau dauerhaft anzueignen. Im Folgenden erfahren Sie, wie Lehrkräfte es im Mathematikunterricht schaffen können, alle Kinder von Anfang an zu erreichen.
"Ich hasse Mathematik", sagte mal ein Schüler zu mir. Und er war nicht der Einzige in der Klasse, der sich dem Fach Mathematik regelrecht versperrte. Woher kommt diese große Frustration nur, fragte ich mich damals. Auf eine hilfreiche Antwort kam ich eines Tages beim Blick durch das Küchenfenster: Wenige Stunden zuvor hatte ich mit Eimer und Lappen bewaffnet, die von Regen und Staub getrübten Scheiben geputzt. Durchblick war das Ziel gewesen. Nun schien die Sonne auf das Glas und großflächige Schlieren trübten die Aussicht erneut. All die Mühe umsonst! Ich hasse Fensterputzen, dachte ich.
Durchblick von Anfang an
Was hat das von mir ungeliebte Fensterputzen nun aber mit den Lernschwierigkeiten von Schülerinnen und Schülern (SuS) zu tun? Der Vergleich half mir, nachzuvollziehen, dass immer wiederkehrende Enttäuschungen zu Lernunlust, zu geringer Motivation, Anstrengungsbereitschaft und Durchhaltevermögen führen. In meiner inzwischen langjährigen Tätigkeit als sonderpädagogisch ausgebildete Lehrkraft, arbeite ich genau daran, den SuS mit Lernschwierigkeiten die große Frustration zu ersparen und durch einen anschaulichen und strukturierten Unterricht ihre Motivation, Leistungsbereitschaft und Freude am Lernen zu steigern. Durchblick von Anfang an ist ein wichtiger Schlüssel für erfolgreichen Mathematikunterricht.
Begreifen durch handlungsorientiertes Lernen
Oft erlebe ich es, dass SuS ohne fest verankerte Zahl- und Mengenvorstellungen zählend mit den Fingern rechnen. Dieses System funktioniert im Zahlenraum bis 10 einigermaßen gut, ist im Zahlenraum bis 20 fehleranfällig und bricht beim Rechnen mit Zehnerüberschreitung, beziehungsweise im Zahlenraum über 20, völlig zusammen. Und genau hier sehe ich mich in der Rolle als "Bauleiterin", die mit ihrem Wissen um die Schwierigkeiten jedem Kind hilft, ein sicheres Fundament zum Zahl- und Mengenverständnis als Basis für ein sicheres Rechnen zu errichten. Besonders lernschwache SuS sind beim Begreifen neuer Lerninhalte darauf angewiesen, sich diese mit konkretem Material aktiv zu erarbeiten und anzueignen, um diese handelnd gewonnenen Erkenntnisse nachfolgend in die bildliche und symbolische Ebene zu übertragen.
Anschauung als Fundament der Erkenntnis
Bereits Johann Heinrich Pestalozzi lehrte die Bedeutung der Anschauung für die Erkenntnis. Im Mathematikunterricht verstehen einige SuS beim Lösen von Tauschaufgaben nicht, dass die Summanden vertauschbar sind – wobei die Summe immer gleich bleibt. Sie rechnen Aufgabe und Tauschaufgabe unabhängig voneinander aus. Das fehlende Verständnis der Beziehungen zwischen einer Gesamtmenge und ihren Teilmengen erschwert den Kindern das Rechnen, wobei dies erst auffällt, wenn diese an die Grenzen des zählenden Rechnens stoßen. Als ein besonders gut geeignetes didaktisches Material, um dem schematisch zählenden Rechnen entgegenzusteuern, hat sich in meiner Praxis die konsequente Nutzung des Zehnerfelds erwiesen. Dieses verwende ich bei meinen SuS bei der Zahl- und Mengeneinführung von Anfang an.
Neugier wecken
Besonders jüngere SuS sind mithilfe einer Schatzkiste (Schuhkarton mit Glitzerfolie beklebt) leicht zur aktiven Mitarbeit zu motivieren. Als Ritter oder Prinzessin gehen sie – bewegungsfreudig – auf Entdeckungsreise im Klassenraum und Schulhaus oder auch auf dem Schulhof, um den verloren gegangenen Schatz allein, paarweise oder in Kleingruppen zu finden. Dabei geben ihnen Schatzkarten (Laufzettel mit den notierten Aufgaben) die nötige Orientierung. Nach der Rückkehr in den Schlosshof (Klassenzimmer) erproben sich die Ritter und Prinzessinnen bei den Ritterspielen. Und ja, Sie vermuten richtig: Das Ganze ist nichts anderes, als die alt bewährte Stationsarbeit. Mit ein bisschen Fantasie und Glitzer regt es Erst- und Zweitklässler verlässlich zum Mitmachen an.
Individuell Lernen und Wesentliches in kleinen Schritten begreifen
Vertauschbarkeit der Summanden vermittle ich gern konkret handelnd mit zwei Schnüren unter Verwendung von roten und blauen Wäscheklammern oder Perlen (Schatz). Die zu den Ritterspielen gehörenden Stationen statte ich mit didaktischen Materialien aus, mit welchen die SuS immer wieder die Übertragung von Aufgaben in die verschiedenen Anschauungsebenen trainieren. So werden Additions- und Tauschaufgabe genauso wie Zehnerfelder, Bilder von ungeordneten Punktefeldern oder Perlen- und Klammerketten mit roten und blauen Elementen einander zugeordnet.
Jedes Schulkind lernt effektiv, wenn es Tauschaufgaben unter Verwendung der im Folgenden genannten Veranschaulichungsmittel auf "seiner" Anschauungsebene zuordnet, bildet und löst.
Folgende Materialien werden für die Stationen benötigt:
- mehrere "Schätze" zum Beispiel in Form von Schnüren mit roten und blauen Klammern oder Perlen
- Zehnerfelder mit roten und blauen Punkten
- Blanko-Zehnerfelder zum Legen von Wendeplättchen bzw. Einzeichnen der Punkte
- Wendeplättchen
- formale Aufgaben, die auf Kärtchen (Notizzettel) notiert wurden
- Kärtchen (Notizzettel) mit den Zahlen 1 bis 10 zur Darstellung der Summen
- Punktebilder (ungeordnet eingezeichnete oder geklebte Punkte in den Farben blau und rot)
- Kästchenpapier zum Notieren und Lösen der Aufgabe und Tauschaufgabe
- Kartenpaare (auf Notizzettel) mit Aufgabe- und Tauschaufgabe in den unterschiedlichen Anschauungsebenen für Gedächtnisspiel
Differenzierung nach Lernvoraussetzungen
Zur Ausstattung der einzelnen Lernstationen zur Erarbeitung von Tauschaufgaben habe ich aus der Reihe Klick! inklusiv, Themenheft 2, Rechnen bis 10, Tauschaufgaben (siehe Klexer KV 1, 2, 3, 4 und 5) genutzt. Besonders für lernschwache Kinder ist es wichtig, nur wenige und stetig wiederkehrende Aufgabenformate zu verwenden, um die eigenständige Auseinandersetzung und dauerhafte Aneignung mit dem neuen Lerninhalt zu ermöglichen. Differenzierung nach Lernvoraussetzung und der Einsatz methodischer Mittel und Unterrichtsmaterialien sind wichtige Grundpfeiler für das Unterrichten heterogener Klassen – und zwar von Beginn an.
Die Autorin
Petra Franz arbeitet als sonderpädagogisch ausgebildete Lehrkraft seit über drei Jahrzehnten mit SuS mit besonderem Förderbedarf im Bereich Lernen, geistige Entwicklung und Verhalten in einer Schule in Erfurt. Sie ist außerdem als Autorin des Grundschullehrwerks Klick! inklusiv für den Cornelsen Verlag tätig.
Klexer – Grundschulunterricht besser gestalten
Die Klexer-Reihe enthält tolle Unterrichtsideen und deckt viele Fächer der Grundschule ab, behandelt aber auch Themen wie Inklusion, DaZ, Jahreszeiten, Organisation von Unterricht und vieles mehr.
Weitere Artikel der Reihe:
Fortbildungen der Cornelsen Akademie
Lernen und Lehren an inklusiven Schulen (SchiLf)
Sie erarbeiten gemeinsam Vorstellungen von den Herausforderungen inklusiven Unterrichts – und entwickeln basierend darauf ein optimistisches Bild, was an Ihrer Schule machbar ist.
Lernprozesse effektiv gestalten: Motivationsforschung praktisch einsetzen (SchiLf)
Sie erweitern Ihre Kenntnisse über den Aufbau der Persönlichkeit und Motivation. Mit ihrer Hilfe können Sie sich selbst und Ihre Schülerinnen und Schüler besser verstehen und vor allem gezielt handeln, so dass Ihr Unterricht effektiv, störungsarm verlaufen kann.