Referendariat / 17.10.2019

"Können Sie mir doch noch eine 3 auf dem Zeugnis geben?"

Teil 8: Notengebung  

Für die meisten hört das Bangen und Zittern um die Notengebung spätestens mit Abschluss der Masterarbeit auf. Doch nicht im Referendariat – hier befindet man sich in der seltenen Situation, selber noch bewertet zu werden, vor allem aber auch derjenige zu sein, der die Noten vergibt! Doch wie genau bewertet man eigentlich, wenn man vorher noch nie Noten verteilt hat? Kann man überhaupt komplett objektiv und fair bewerten? Oder lässt man am Ende des Halbjahres den Würfel entscheiden?  

Illustration Lehrerin vor der Tafel
Bild: Cornelsen / Claudia Medrow

Noten, Noten... 

"Frau Staaaaark!" Die 7. Stunde ist gerade vorbei und ein Wust aus Achtklässlern hat bereits heuschreckengleich das Klassenzimmer nackt und verwüstet hinterlassen. Raus in die Freiheit! Eine Nachhut ist noch zurückgeblieben: Das eingeschworene Team, die BFFs, Anna und Maya stehen vor mir. Die sonst selbstbewusste, etwas prollige Maya mit diesem typischen leicht verlegenen Blick und der Haltung mit aneinandergelegten Händen, wenn Schüler etwas wollen. Da ist doch was im Busch. Und ich kann mir schon denken, um was es gehen wird. Und da kommt es auch: "Frau Stark, ich wollte fragen, ob Sie mir in Englisch nicht doch noch eine 3 auf dem Zeugnis geben könnten?" 

Gestern war Notenkonferenz, Maya hat in den Hauptfächern eine Fünf zu viel und kann nicht ausgleichen. Als jüngstes, unerfahrenstes Glied in der Kette der Hauptfächer, stürzt sie sich instinktiv auf mich, die nette, liebe Referendarin, die vielleicht noch ein Auge zudrückt. Die Ausgleichsmöglichkeit scheint verlockend, ich kann sie verstehen. "Maya, ich habe euch schon am Montag die Noten angesagt und dir erklärt, dass das nicht geht – du hattest in drei Klassenarbeiten eine 5, in vielen Tests auch. Das Video-Projekt war gut, aber im Unterricht selbst warst du auch oft abgelenkt." Ich mag Maya gern und weiß, dass nicht unbedingt Mangel an Intelligenz, sondern eher diese fiese Überbrückung zwischen Kind- und Erwachsensein, die sich Pubertät nennt, gemischt mit etwas Faulheit, verantwortlich ist für die schlechten Noten. Klar, ich fand in der 8. Klasse auch so einiges spannender als die grammatikalischen Regeln der indirect speech oder zur Kommunikation nützliche discussion phrases. Ein Teil fühlt daher mit. 

"Aber Sie haben vor ein paar Wochen gesagt, dass ich gut mitgemacht habe!". Ich schau Maya verdutzt an und innerlich rattert nun bei mir, was sie meint. "Da habe ich mich paar Mal gemeldet, und da habe ich Sie  gefragt wie ich mitgemacht habe in der Stunde und Sie meinten gut... naja, und ich dachte, Sie sind ja voll nett und vielleicht können Sie mir mündlich doch noch eine bessere Note geben!". Ein ernstes, zustimmendes Nicken der BFF, Anna. Es rattert weiter bei mir und ich rekapituliere nochmal mein Bewertungssystem, um meine endgültige Antwort untermauern zu können...

Mein Bewertungssystem

Vokabeltests 
Einmal die Woche ist das Klassenzimmer der 8e fast schon unheimlich still. Man hört nur das fleißige Kratzen der Füller und Kugelschreiber über das Papier. Irgendwo höre ich einen Stuhl knarren, als einer der Schüler in der letzten Reihe sein Gewicht von der linken auf die rechte Seite des Stuhls verlagert. Diese ruhige konzentrierte Atmosphäre in meiner 8. Klasse verdanke ich dem wunderbaren wöchentlichen Vokabeltest, der vom Fachbereich Englisch zuvor festgelegt wurde, in der Hoffnung, langfristig den englischen Wortschatz der Schüler zu erweitern und zu festigen; ob dies tatsächlich hilft, sei erst mal dahingestellt. 

Doch reines Vokabeln-Auswendiglernen allein sagt erst mal so gut wie gar nichts über den Leistungsstand aus. Es ist nur ein (wenn auch vorgegebener) Aspekt meines ganz persönlichen Notensystems, um am Ende des Schulhalbjahres eine möglichst "faire" Note im Fach Englisch festlegen zu können. Denn nicht jeder sagt gerne viel im Unterricht, wenn es dann aber doch passiert, dann ist es auf den Punkt. Und da gibt es natürlich das komplette Kontrastprogramm, nämlich diejenigen, deren Finger ständig schnipsend oder fast in meiner Nase bohrend oben sind – sei es noch so unwichtig in dem gegebenen Moment. Wie geht man da fair vor? Die kleinen Vokabeltests sind daher meiner Meinung nach eine gute Möglichkeit, auch schüchterneren Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, ihre mündliche Note ein wenig hochzuziehen. 
 

Mündliche Mitarbeit 
Doch daher gibt es nebst diesen von mir – und sicherlich auch von den Schülern – heißgeliebten Vokabeltests natürlich noch ein paar mehr Zutaten, die ins Notensüppchen, (je nach Schulregelung oder Fachbereichskonferenzbeschluss) genannt Allgemeiner oder mündlicher Teil, miteinfließen. So zum Beispiel die in Sprachen sehr wichtige mündliche Mitarbeit, also aktive Teilnahme am Unterrichtsgeschehen. Hierbei ist es jedoch wichtig, sich vorher (fürs Fach relevante) gewisse Kriterien festzulegen, anhand welcher man bewertet, um wenigstens einen objektiven Ansatz zu haben: in Englisch wären das z.B. freiwillige Mitarbeit, Verständnis des Sachverhalts, Richtigkeit der Aussagen, Problemerkennung und sprachliche Darstellung – je nach Bedarf könnte man die Liste erweitern oder auch kürzen. Ich kenne Kollegen, die tatsächlich versuchen, sich jede Stunde einen Eindruck zu notieren, wie gut (oder auch nicht) jemand mitgemacht hat. Meistens lässt sich so ein relativ klarer Verlauf der Beteiligung bzw. Teilnahme erkennen. 

Für mich persönlich funktioniert es jedoch, mir einen wöchentlichen Eindruck zu notieren, d.h., ich notiere mir am Freitag bzw. Wochenende für jeden Schüler einen wöchentlichen Eindruck – schließlich kann jeder einen schlechten Tag oder Stunde haben; und das gilt auch bzw. besonders für mich als Lehrkraft! Es hilft auch sehr, wenn man sich wöchentlich oder monatlich Schwerpunkte setzt, worauf man bei Schüleräußerungen besonders Acht gibt, sodass man ein recht klares Bild der Schwächen und Stärken erlangt. Hierbei beanspruche ich jedoch auch keinerlei Patent für die ultimative Notengebung – die Subjektivität wird man so nämlich nicht komplett los, man kann jedoch eben anhand von selbstauferlegten Kriterien und Strukturen versuchen, ihr so gut es geht entgegenzuwirken. 
 

Hausaufgaben 
Das gewissenhafte Erledigen der Hausaufgaben – für viele meiner heranwachsenden Lieblinge ein Horror. Bei den ganzen verlockenden und abwechslungsreichen außerschulischen Angeboten auf Insta und Snapchat auch kein Wunder. Vor allem bei Sprachen ist das Lernen und Wiederholen von Vokabeln oder Vertiefungsübungen zur Grammatik eigentlich nicht wegzudenken. 

Damit die Hausaufgaben jedoch nicht ganz auf Freiwilligkeit beruhen, gehe ich (nett wie ich bin) am Anfang des Schulhalbjahres vom Besten aus, sodass im Hausaufgabenteil alle Schüler bei mir erst mal auf 1+ (= 15 Punkte stehen). Pro vergessene Hausaufgabe, wird ein Punkt abgezogen. Am Ende des Schulhalbjahres schaue ich mir alle Punktewerte an und berücksichtige dies entsprechend in der Mitarbeit. Ein kleiner Nachteil hierbei ist, dass es natürlich ein paar Minuten frisst, durch alle Reihen zu gehen und nachzusehen, wer die Aufgaben tatsächlich bearbeitet hat. Dies kann man jedoch auch geschickt umgehen, indem man z.B. Nummern (jede Nummer = ein Schüler) aus einem Säckchen zieht oder ziehen lässt und drei Schüler dann die Hausaufgabe bzw. die Lösungen vortragen müssen. Können sie das dann nicht tun, wird entsprechend die Note oder Punktzahl vermerkt. Somit müssen alle immer vorbereitet sein. Wie schon gesagt, dies muss nicht für alle der beste Weg sein. Ich habe damit jedoch sehr positive Erfahrungen gemacht, vor allem, weil es sich gut variieren lässt und es auch einen sehr transparenten Weg für die Schüler darstellt und es in der Regel nicht zu bösen Überraschungen kommt – die Kids wissen eigentlich genau, wie viel sie gearbeitet haben und als Beweis steht es fein notiert in meinem Notenheft.
 

Hefterführung 
Auch dieser Teil der Notenbildung obliegt keinen in Stein gemeißelten Regeln. Hier bediene ich mich gerne eines Zufallsgenerators per Handy und lege so (gerne vor längeren Ferien) fest, von welchen 5-7 Schülern ich mir mal die Hefter als schöne Freizeitlektüre vorknöpfe. Wie oben beschrieben, liegt ein großer Vorteil im Zufallsprinzip und somit recht authentischen Einblick, wie ordentlich die Unterlagen gehegt und gepflegt wurden. 

Projekte und sonstige Arbeiten 
Wenn nun gar nichts mehr geht und hilft, sind natürlich auch thematisch passende Vorträge oder Projekte als Zusatznote eine gute Möglichkeit, die Noten etwas aufzupeppen. In der Regel machen Projekte, die vom normalen Unterrichtsablauf etwas abweichen, den Schülern viel Spaß und bringen daher auch gute Ergebnisse (siehe z.B. mein Video-Projekt). 

Gerne lasse ich den Schülern auch die Möglichkeit offen, mir geschriebene Texte abzugeben, zu welchen ich ihnen dann Feedback gebe und mir einen Eindruck notiere. Der Vorteil hierbei ist, dass viele der abgegebenen Arbeiten dann auch mit recht positivem Feedback versehen werden, da Schüler normalerweise nicht ihre grottenschlechten Arbeiten abgeben möchten. Also eine Win-win-Situation für beide Seiten. 

Fazit: Noten – eine (un)faire Angelegenheit?

Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist durchaus möglich, dass Maya bei einer anderen Lehrkraft, welche ein anderes Bewertungssystem hat, eine bessere, vielleicht jedoch auch eine schlechtere Note erhalten hätte. Man kann versuchen subjektive Faktoren so gut es geht auszuschließen, doch die Art wie man bewertet, ist auch stets individuell. Auf das Feilschen nach (meiner Meinung nach seitens Maya nicht-)getaner Arbeit lasse ich mich daher nicht ein: mein ausgeklügeltes Wochennotensystem, zusätzlich zu Vokabeltests, Hausaufgaben- und Projektnoten zeigen mir eindeutig, dass es eben nicht reicht, Maya ein "befriedigend" zu attestieren. Meine endgültige Antwort an Maya, hinter der ich zu 100 Prozent stehen kann, lautet daher: "Nein, meine Bewertung steht fest.". Ich erkläre Maya nochmal in Ruhe die Zusammensetzung und die BFFs ziehen zwar einsichtig, doch (verständlicherweise) schmollend ab. 

Die Cornelsen Referendariatskolumne

Marie Stark ist Mitte 20 und unterrichtet als Referendarin an einem Berliner Gymnasium die Fächer Englisch und Geschichte. Im Cornelsen Magazin berichtet sie regelmäßig über die bisher spannendste Phase ihres Lebens – das Referendariat. 
Alle in der Kolumne verwendeten Namen sind Pseudonyme zum Schutz der Personen. Ansonsten ist aber alles echt – Realität Schule. 

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