Digitalität an Schulen
„Es ist eine naive Illusion, man könnte die Schulen als analoge Inseln im digitalen Meer in die Zukunft führen“
Entlang didaktischer Grundfragen zeigt das Buch Digitalität als Prinzip, was es bedeutet, digital zu lehren und zu lernen. Das Interview mit Frank Nix, dem Autor des Buches, beleuchtet die Herausforderungen und Chancen, die sich aus der Digitalisierung im Bildungssektor ergeben. Digitalität ist dabei niemals Selbstzweck: Digitales Lernen ist der einzig adäquate Weg, die Anforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen.
Herr Nix, Sie sind Autor des Buches „Digitalität als Prinzip“ – was interessiert Sie persönlich am Thema Digitalität?
Frank Nix: Ich habe mich immer für digitale Innovativen begeistert und versucht, diese Begeisterung weiterzugeben – an Kolleginnen und Kollegen, Schülerinnen und Schüler, aber auch an meine eigenen Kinder. Durch Corona ist wahrscheinlich allen Beteiligten klargeworden, dass wir im Bereich der schulischen Digitalität noch viel nachzuholen haben – und da meine ich jetzt weniger die technische Ausstattung unserer Schulen, sondern den mangelnden pädagogischen Unterbau. Als ehemaliger Seminarausbilder habe ich daran ein besonderes Interesse. Ich bringe deshalb im Rahmen meines Lehrauftrags an der RUB dieses Thema an die Lehramtsstudierenden – und das ist offensichtlich ein sehr gefragtes Themenfeld.
Es gibt so viele Entwicklungsrichtungen, so viele Ideen und Innovationen, dass man das kaum noch überschauen kann: KI, 3D-Druck, Tabletklassen, Lernmanagementsysteme, unzählige Apps für alle möglichen Fächer. Was fehlt, ist eine Struktur, die dabei helfen kann, das für einen selbst und die Lernenden am besten geeignete Angebot zu finden. Vor Corona gab es Digitalisierungsfrust mangels Geld und mangels eines entsprechenden Angebots. Der Frust ist an vielen Orten geblieben, nun aber mittels Geld und mittels eines verwirrend umfangreichen Angebotes.
Ist das denn eine realistische Gefahr?
Frank Nix: Die Stimmen, die Digitalität aus der Schule verbannen möchten, werden jedenfalls lauter. Wobei das sogar nachvollziehbar ist: So, wie die Digitalisierung in manchen Bereichen umgesetzt wurde, ist der Schaden tatsächlich manchmal größer als der Nutzen. Der sinnvolle Weg wäre eigentlich, zunächst ein Konzept zu entwickeln, wie und auf welche Weise man digitale Werkzeuge im Unterricht einsetzen kann. Danach weiß man ungefähr, was man dazu an Fortbildung, technischer Ausstattung usw. benötigt. Und dann kann man anfangen.
Aber in der Corona-Krise und auch danach lief es genau umgekehrt: Erstmal so viel Technik wie möglich in die Schulen bringen, aber ohne konzeptionellen Unterbau. Ganz viele Angebote wurden entwickelt, aber in einer verwirrenden Vielfalt und ohne eine echte Verzahnung untereinander. Da wurde viele Geld in den Sand gesetzt für Hard- und Software, die am Ende nicht so eingesetzt werden konnte und so in den Unterricht eingebunden werden konnte, wie man hoffte. Oft passte die Infrastruktur nicht zur Hardware und beides wiederum nicht zur eingesetzten Software. Das hat für viel Frust gesorgt und Lehrkräfte oft unverschuldet bloßgestellt, weil man ihnen vorwarf, die neue Technik nicht sinnvoll zu nutzen. Aber oft lagen die Gründe dafür ganz woanders.
Ein paar Beispiele: Es werden iPads angeschafft, aber das WLAN zu ihrer Nutzung fehlt. Es werden Lernplattformen zur Verfügung gestellt, aber wegen datenschutzrechtlicher Bedenken wieder eingeschränkt. Fortbildungsangebote fehlen, digitale Strukturen sollen von Lehrkräften „nebenbei“ verwaltet und organisiert werden – die Liste könnte ich beliebig fortsetzen. Es gibt also durchaus Anlass, die Digitalisierung an unseren Schulen zu kritisieren. Die Forderung der Skeptiker sollte aber eigentlich lauten: Erstmal für den konzeptionellen Unterbau sorgen, bevor weitere digitale Technik angeschafft wird. Und dann: Nicht nur ein einziges Mal Geld in die Hand nehmen, sondern für langfristig tragfähige Strukturen sorgen.
Frank Nix
Es ist eine naive Illusion, man könnte die Schulen als analoge Inseln im digitalen Meer in die Zukunft führen.
Warum sollte man aus Ihrer Sicht die Digitalisierung unserer Schulen fortsetzen?
Frank Nix: Ich halte das für eine alternativlose Aufgabe, denn nur so können wir unsere Schulen kompatibel zur Lebens- und Arbeitswelt im 21. Jahrhundert machen. So, wie man im Alltag mit digitaler Technik lebt, müsste man eigentlich auch in unseren Schulen arbeiten. Ein Beispiel: Das Kinoprogramm, Öffnungszeiten von Läden und vieles mehr erhalte ich mit einem Klick online – dann müsste ich doch auch meinen Stundenplan online einsehen können, müsste mich online krankmelden können, online herausfinden können, welche Hausaufgaben ich bis wann erledigen muss. Das geht längst nicht an allen Schulen.
Überall arbeiten die Menschen an Computern, man kann online Buchungen durchführen, seinen Kontostand prüfen, bestellen. Und in der Schule wird nicht selten noch mit Kreide an eine Tafel geschrieben – das ist doch ein völliger Anachronismus! Wir haben in der Schule die Verpflichtung, unsere Kinder stark zu machen für das Leben. Dann müssen wir ihnen aber auch beibringen, wie das Leben „da draußen“ funktioniert und wir müssen ihnen dabei eine vertraute Umgebung bieten, ein Umfeld, das sie kennen und verstehen. Und zu so einem Umfeld gehören das Smartphone und WLAN ganz selbstverständlich dazu. Die Kinder müssen die Gefahren dieser Welt kennenlernen, sie müssen Strategien entwickeln, in dieser Welt zurechtzukommen, ohne Fake-News oder Betrügern auf den Leim zu gehen. Wie soll das in einer weitgehend analogen Schule denn funktionieren? Eine Verbotskultur hilft da überhaupt nicht weiter, und es ist eine naive Illusion, man könnte die Schulen als analoge Inseln im digitalen Meer in die Zukunft führen.
Ist die Digitalisierung unserer Schulen aus Ihrer Sicht die richtige Antwort auf die Bildungsmisere?
Frank Nix: Die Frage impliziert die Erwartung, dass mit der Digitalisierung alles besser würde: Man hat weniger Aufwand beim Unterrichten, die Kinder lernen besser, schneller und bereitwilliger, die Leistungen steigern sich und alle sind glücklich. Wer mit dieser Erwartung an die Digitalisierung herangeht, sollte es lieber lassen. Denn solche Erwartungen sind nicht zu erfüllen, und diejenigen, die so etwas versprechen, halte ich für unseriös. Im Gegenteil, es erfordert Mehraufwand und es kostet Zeit, die Schulen und den Unterricht zu digitalisieren. Warum Digitalisierung erforderlich ist, habe ich ja schon erläutert. Aber obwohl wir darauf nicht verzichten können, macht die Digitalisierung das Lernen nicht automatisch einfacher und sie macht den Unterricht nicht besser – zumindest nicht von selbst. Die Digitalität schafft Möglichkeiten und eröffnet Räume, die in der analogen Welt gar nicht denkbar sind. Aber ob und wie man diese Chancen nutzt, entscheidet letztlich darüber, ob man damit erfolgreich ist. Ich komme immer wieder darauf zurück: Man braucht ein stimmiges Konzept, und dann geht es tatsächlich digital besser als analog.
Und Sie liefern mit Ihrem Buch dieses Konzept?
Frank Nix: Wenn Sie mein Buch gelesen haben, werden Sie eine Idee davon haben, welche Aspekte ein pädagogisches Konzept digitalen Lernens zu berücksichtigen hat. Sie können digitale Technik und ihre Lernwirksamkeit kriteriengeleitet beurteilen und sie erfahren, worauf es bei effektivem digitalen Lernen wirklich ankommt. Nartürlich erhalten Sie auch praktische Tipps und Expertenwissen, das Sie sofort in Ihrem Unterricht nutzen können. Aber ich liefere kein fertiges Konzept. Denn das, was bei mir, in meiner Schule, bei meinen Schülerinnen und Schülern, in meinen Fächern und unter den Rahmenbedingungen, die an meiner Schule vorhanden sind, funktioniert, muss unter anderen Bedingungen nicht funktionieren. Wichtig ist, individuelle Wege zu finden, wie die Digitalität umgesetzt werden kann.
In meinem Buch stelle ich die Konstituenten vor, die bei der Digitalisierung zu beachten sind, und natürlich finden Sie Beispiele, Anregungen und Impulse. Aber die wesentlich und aus meiner Sicht die schönste Erkenntnis der empirischen Unterrichtsforschung lautet: Nichts muss, aber (fast) alles kann funktionieren, wenn Personen und Rahmenbedingungen zusammenpassen.
Das versetzt Lehrkräfte in die Lage, so zu arbeiten, wie es am besten zu ihnen passt. Niemand muss sich „verbiegen“, sondern hat eine große Auswahl an Möglichkeiten. Die Kehrseite der Medaille lautet aber auch: Es gibt nicht „die“ Methode, „die“ App, die automatisch erfolgreich ist. Die Digitalität in der Schule erfolgreich umzusetzen bedarf einer ausführlichen Analyse, sie muss schrittweise erprobt werden und es ist wichtig, immer wieder innezuhalten und zu evaluieren, ob man noch auf dem richtigen Weg ist. Und wenn dabei die Digitalität als selbstverständliches Element immer wieder berücksichtigt wird, dann haben wir aus meiner Sicht gute Chancen, zeitgemäßen Unterricht zu machen, der unsere Kinder auch auf die Welt von morgen vorbereiten kann.
Zur Person
Frank Nix, Gesamtschuldirektor, didaktischer Leiter; Zertifikatsstudium „digital learning leadership“ an der TU Dortmund, Lehrbeauftragter Uni Bochum zum Thema „Schule 2.0 – Digitalität“, Autor diverser Lehrwerke und Fachbücher
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