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Schule gestalten / 25.11.2024

Wie das Thema Drogen in der Schule behandelt werden sollte

Interview mit dem Drogenexperten Dr. Gernot Rücker

Die Geschichte der Rauschmittel habe bewiesen, wie wenig man mit Verboten erreichen kann, schreibt Gernot Rücker in seinem Buch „Rausch“. Der führende Experte für Freizeit-Drogenkonsum in Deutschland setzt stattdessen auf Aufklärung. Die Kinder und Jugendlichen mündig zu machen im Umgang mit Drogen, so sein Plädoyer, sei Aufgabe der Schule. Wir haben ihn gefragt, wie das funktionieren kann.

Bild: Shutterstock.com/fotoNino

Herr Rücker, der Mensch berauscht sich, seitdem es ihn gibt, schreiben Sie und Sie gestehen den Menschen ein Recht auf Rausch zu. Doch Rausch wird durch Drogen ausgelöst und Drogen können nun mal sehr gefährlich sein. Wenn Rausch und Drogen zur Realität gehören, wie und wo können Kinder und Jugendliche lernen, damit verantwortlich umzugehen?

Gernot Rücker: Ganz einfach: in der Schule. Wenn die Schule die Kinder ausbilden und fürs Leben fit machen soll, dann muss sie die Schülerinnen und Schüler auch für den Umgang mit Drogen fit machen. Doch diese Aufklärung findet nicht sachgerecht statt.


Aber machen die Schulen denn nicht bereits genügend Aufklärung? Es gibt doch Suchtberater, ehemalige Abhängige oder Polizisten, die in die Schulen gehen. Reicht das nicht aus?  

Gernot Rücker: Nein, denn momentan wird auf Verbot und Gefahr gesetzt. Aber wir brauchen eine Drogenmündigkeit. Und ich erwarte, dass Schulen sich dieser Aufgabe stellen. Wenn das nicht der Fall ist, hat es wenig Sinn, solche Veranstaltungen zu machen. Das ist ja lächerlich, da kommt ein Polizist in die Schule, macht einen Koffer auf, holt Fakekram raus und sagt, so sehen die Drogen aus und die sind gefährlich, und die Schülerinnen und Schüler haben den echten Stoff in ihren Taschen. Die Quintessenz des Vortrags ist dann: Alle Drogen sind gefährlich. Das ist jedoch die falsche Schlussfolgerung.

„Alkohol ist die gefährlichste Droge“

Aber sie sind doch gefährlich, oder etwa nicht?

Gernot Rücker: Erstens: Alkohol ist die gefährlichste Droge. Und diese Droge ist legal. Und zweitens: Man muss akzeptieren, dass es Millionen von Konsumenten von sogenannten illegalen Drogen in Deutschland gibt. Der Verbreitungsgrad dieser Drogen ist also unglaublich hoch. Schon Dreizehnjährige sind in der Lage, ohne großen Aufwand Ecstasy-Pillen in jeglicher Dimension zu erwerben.  Der Digitalisierungsprozess während der Pandemie hat dazu beigetragen, dass die Handelsstrukturen sich so verändert haben, dass jetzt nahezu jeder im Internet Drogen bestellen kann. Und die werden dann anonym nach Hause geliefert.
 

Und wie könnte diese Aufklärung mit dem Ziel Drogenmündigkeit aussehen?

Gernot Rücker: Es muss eine wissenschaftlich fundierte Aufklärung darüber erfolgen, was Drogen können und was Drogen eben nicht können. Drogen können Spaß bringen. Das ist keine Frage. Drogen können als Medikamente dienlich sein. Das ist auch unstrittig. Und Drogen können sehr gefährlich sein und süchtig machen. Genau hier ist nämlich die Grenze zwischen Freizeit- und Alltagsdroge, an der wir immer fragen müssen: Was war oder ist denn der Auslöser für die Drogeneinnahme? Wenn jemand eine Droge nimmt, ist das ja immer mit einem Grund verbunden. Die Droge schleicht sich ja nicht einfach so in die Wohnung, sondern sie muss aktiv besorgt und auch irgendwo konsumiert werden. Es muss also – zumindest aus der Sicht des Konsumenten oder der Konsumentin – einen Zeitpunkt X geben, an dem es angesichts dessen Sinn zu machen scheint, diese Droge zu nehmen. Viele sagen, weil ihnen langweilig ist oder weil sie neugierig sind. Aber so einfach ist das nicht. Schüler haben unglaublich viele Gründe, sich Drogen zuzuwenden: Weil sie unter Stress und Druck stehen, weil die Erwartungshaltung der Eltern hoch ist, weil sie gemobbt werden, weil sie Gewalt in der Familie oder sexuelle Übergriffe erleben. Je schwerwiegender der Grund ist, umso größer der Wille und der Druck zum Konsum. Dann kann das leicht zum Desaster werden. Und hier sind Eltern, aber auch die Lehrkräfte gefordert, genau hinzuschauen und sich gegebenenfalls Rat von Fachleuten zu holen.

„Die Lehrer müssen sich selbst schlau machen“

Wenn der einmalige Vortrag des Polizisten oder der Suchtberaterin nicht hilfreich, möglicherweise sogar kontraproduktiv ist, was sollen die Schulen stattdessen tun?

Gernot Rücker: Wir können doch nicht – nur weil die meisten Drogen illegal sind – ausschließlich mit Verboten statt mit Aufklärung kommen. Deswegen erwarte ich, dass man sich nicht an der Legalitätsgrenze entlanghangelt und die illegalen Drogen verteufelt, sondern über ihre Wirkung aufklärt – wohl wissend, dass sie bereits konsumiert werden. Momentan führt kein Weg dran vorbei: Die Lehrer müssen sich selbst schlau machen, solange es keine entsprechenden Materialien vonseiten der Kultusbehörden gibt. Denn eine Lehrkraft, die auf dem Gebiet nicht zuhause ist, ansonsten aber bei den Schülern anerkannt ist, kann nur verlieren, wenn sie vor einer Meute von Schülern sitzt, etwas erzählt und von der Sache wenig Ahnung hat. Die Lehrkräfte können natürlich mein Buch lesen (*lacht*), sie können aber auch selbst recherchieren. Wikipedia ist hier extrem gut aufgestellt. Wir haben zwar mittlerweile über 3.000 psychoaktive Substanzen, das ist schon ein dichter Dschungel, aber man braucht nur fünf bis zehn Leitdrogen, deren Profil man kennen sollte. Und ich erwarte von den Lehrkräften, von den Schulen, dass sie sich damit auseinandersetzen. Das ist existentiell, um Risikofälle überhaupt erkennen zu können. Wir müssen unter anderem auch darüber aufklären, wie wir gefährliche Substanzen durch weniger schädliche, aber mit ähnlicher Wirkung ersetzen können.

Dr. Gernot Rücker
Bild: Gestaltung der Icons: Stan Hema, Berlin 2017/2018

Dr. Gernot Rücker

Anästhesist, Notfall- und SuchtmedizinerDie Kultusministerien müssen anerkennen, dass Drogenmündigkeit ein Schulthema ist. Dieser Bildungsauftrag muss geleistet werden.

„Besser, wir lernen aus den Fehlern der Vergangenheit“

Also war die Cannabis-Legalisierung der richtige Weg?

Gernot Rücker: Zunächst einmal: Im jugendlichen Hirn haben Rauschmittel grundsätzlich bis mindestens dem 21. Lebensjahr, besser dem 25., nichts verloren, weil das Gehirn noch in der Entwicklung ist. Eintretende Schäden sind bis dahin nur schwerlich zu beheben. Bei Alkohol geht man mittlerweile von einem Einstiegsalter ab zwölf Jahren aus. Und es ist klar, dass er giftiger, suchterzeugender und bei weitem gefährlicher als Cannabis ist. Dazu ein paar Zahlen: Wir haben im Jahr in Deutschland etwa zehn Todesfälle durch MDMA - die Droge, die gewöhnlich als Ecstasy bezeichnet wird – bei Opioiden sind es etwa 1.000, beim Alkohol 75.000 und bei Zigaretten 120.000. Beim natürlichen Cannabis, also bei dem Kraut, gibt es überhaupt keine Todesfälle. Und da muss ich fordern: wenn man Alkohol als Rauschmittel zulässt und wenn Alkohol an jeder Tankstelle und im Supermarkt gekauft werden kann, dass dann auch weniger gefährliche Alternativen erlaubt werden.
 

Aber die Gegner der Freigabe von Cannabis haben behauptet, dass es mit der Freigabe mehr Abhängigkeit geben wird und vor allem, dass Cannabis eine Einstiegsdroge ist. 

Gernot Rücker: Zunächst darf der Begriff der Einstiegsdroge, das wurde längst gerichtlich bestätigt, zum Beispiel bei Gerichtsverfahren gar nicht mehr verwendet werden, weil das wissenschaftlich nicht haltbar ist.  Aber der Begriff wird in den Diskussionen immer wieder gern benutzt. Tatsächlich ist es aber so, dass der erste Stoff, mit dem Menschen im Sinne von aktiver Berauschung beginnen, im Regelfall der Alkohol ist.  Mit einer zeitlichen Latenz von ca. drei Jahren kommt die nächste Droge – häufig Cannabis – dazu. Ich habe kürzlich von einer Kommunionsfeier gehört, wo Erwachsene ein achtjähriges Kind gezwungen haben, Alkohol zu trinken. Das hat mich völlig empört. Das ist unverantwortlich. Wenn man das Einstiegsalter für Alkohol nach hinten verschiebt, sagen wir beispielsweise um drei Jahre, dann verschiebt sich auch der Konsum von anderen Drogen nach hinten. Deswegen ist eine der wichtigsten Maßnahmen überhaupt, die es bei der gesamten Drogenprävention gibt, das Eintrittsalter beim Konsum von Alkohol nach hinten zu verschieben. Also noch einmal: Die Kultusministerien müssen anerkennen, dass Drogenmündigkeit ein Schulthema ist. Dieser Bildungsauftrag muss geleistet werden. Und diesen Bildungsauftrag kann auch nur die Schule leisten. Wir wollen dabei helfen, indem wir auf einer Website in Kürze Drogen mit kleinen Videos erklären, wie  Drogen aussehen, wie sie funktionieren.  Diese Videos können sich dann auch die Lehrkräfte anschauen – vielleicht sogar gemeinsam mit ihren Schülern. Die Internetadresse wird zum Start in den Medien bekanntgegeben. Denn Fakt ist eins: Drogen in großer Auswahl wird es immer geben, ob uns das nun passt oder nicht. Besser, wir lernen aus den Fehlern der Vergangenheit und arrangieren uns vernünftig damit.

Zur Person

Dr. med. Gernot Rücker ist Anästhesist, Notfall- und Suchtmediziner. Er leitet das Notfallausbildungszentrum der Universitätsmedizin Rostock. Als einer der führenden Experten für Freizeit-Drogenkonsum klärt er unter anderem auf großen Musikfestivals deutschlandweit über Drogen und ihre Zusammensetzung auf. Im vergangenen Jahr ist sein Buch Rausch erschienen. Gernot Rücker ist Koordinator des Drug-Checking Teams Mecklenburg-Vorpommern, das auf seiner Website über die Ergebnisse von untersuchten Drogen informiert.

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