Generelles Handyverbot oder mehr Eigenverantwortung der Schule?
Interview mit Prof. Dr. Katharina Scheiter
Handys in Schulen können zum Problem werden. Doch wie soll man damit umgehen? In letzter Zeit wird immer häufiger der Ruf nach einem landes- und sogar bundesweiten Handyverbot an Schulen laut. Auch die Bildungsministerkonferenz hat auf ihrer Sitzung im März darüber diskutiert, allerdings ohne einen Beschluss zu fassen. Wie sinnvoll ist ein Handyverbot, welche Regelungen können Schulen treffen und wie passen einerseits Handyverbot und andererseits Pilotprojekte zur Nutzung von KI in der Schule zusammen? Das haben wir Katharina Scheiter gefragt. Sie ist Professorin für Digitale Bildung an der Universität Potsdam.

Frau Scheiter, einige Kultusminister scheinen ein Patentrezept gegen viele schulische Probleme gefunden zu haben: das Handyverbot. Ist das tatsächlich eine gute Idee?
Katharina Scheiter: Ich finde es nachvollziehbar, wenn Lehrkräfte sich nicht damit auseinandersetzen möchten, dass die Kinder und Jugendlichen während des Unterrichts WhatsApp Nachrichten verschicken oder sich auf TikTok die neuesten Videos anschauen. Ich glaube aber, dass die Lösung ein bisschen zu schlicht ist. Meistens gibt es ja einen Grund, warum man sich beispielsweise im Unterricht ablenken lässt. Früher hat man aus dem Fenster geguckt, Zettelchen ausgetauscht oder Karten gespielt. Möglicherweise macht die Nutzung der Geräte nur ein bereits bestehendes Problem wie erhöhte Ablenkbarkeit sichtbar, ohne selbst alleinige Ursache des Problems zu sein.
Was müsste denn stattdessen passieren?
Katharina Scheiter: Wir brauchen Unterricht, der Schülerinnen und Schüler begeistert. Wir brauchen Schulräume oder auch Pausenhöfe, die so attraktiv sind, dass Schülerinnen und Schüler sich gar nicht erst mit dem Handy beschäftigten wollen. Momentan ist allerdings die Alternative oftmals bloß, irgendein rostiges Turngerät zu verwenden.
Regeln gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern festlegen
Ich möchte es mal ein bisschen böse formulieren: Attraktive Schulgebäude und Pausenhöfe sind teurer als ein Handyverbot. Bleibt den Ländern – aus finanziellen Gründen - also gar nichts anderes übrig?
Katharina Scheiter: Ich beobachte die Diskussion, wie sie auf Social Media, zum Beispiel auf LinkedIn, gerade sehr aktiv geführt wird. Da gibt es immer wieder Lehrkräfte, die sagen, wir brauchen keine gesetzliche Vorgabe, denn wir haben mit den Schülerinnen und Schülern bereits gemeinsam Regeln festgelegt. Diese laufen am Schluss durchaus auf ein Handynutzungsverbot hinaus. Denn die Schülerinnen und Schülern berichten ja auch selbst, dass sie abgelenkt werden, wenn sie oder andere das Handy nutzen. Sie sind sich der Problematik durchaus bewusst. Aber sie wollen ernst genommen werden.
Kennen sie denn auch Schulen, die die Handynutzung ideal gelöst haben?
Katharina Scheiter: Was ich eben gesagt habe: Man setzt sich mit den Schülerinnen und Schülern zusammen und stellt gemeinsam Regeln auf. Bekannt ist wahrscheinlich die Don-Bosco-Schule in Rostock. Da haben sich die Schülerinnen und Schüler sogar an der Finanzierung eines „Handy-Knasts“ beteiligt. In diesem Tresor werden die Handys während der Schulzeit aufbewahrt.
Also ein Handyverbot, das von allen getragen wird?
Katharina Scheiter: Wenn die Regelung an einer Schule gemeinsam getroffen wird, freizeitliche Nutzung von Handys im Unterricht oder auf dem Pausenhof zu verbieten, dann ist das in Ordnung. Man muss sich aber auch Gedanken darüber machen, wie die Alternativen für Kinder und Jugendliche aussehen können und wie diese Alternativen attraktiv gestaltet werden können. Wenn hingegen das Land ein Gesetz erlässt, befürchte ich, dass man sich gar nicht mehr darüber Gedanken machen muss, wie man eigentlich mit Jugendlichen oder Kindern über den Sinn eines solchen Verbots spricht. Wenn die Regeln aber gemeinsam vereinbart werden, kann das auch ein pädagogisch wertvoller Anlass für die Vermittlung von Medienkompetenz sein. Ein „Verbot von oben“ macht das möglicherweise zunichte.
Ein positives Schulklima ist der größte Schutzfaktor
Ein Argument für das grundsätzliche Handyverbot ist auch das Cybermobbing. Ist das berechtigt?
Katharina Scheiter: Ich habe mit dem Handy ständig die Möglichkeit, Videos aufzuzeichnen oder irgendwelche Äußerungen aufzunehmen, zu verfremden und ins Netz zu stellen, also zu teilen und darüber Cybermobbing auszuleben. Das fällt weg, wenn auch die Geräte auf dem Pausenhof nicht verfügbar sind, dann kann sich jeder in einem geschützten Raum verhalten. Oft wird allerdings beim Cybermobbing argumentiert, das Gefährliche sei die Anonymität. Das gilt aber für Kinder gerade nicht. Die Cyberlife-Studie hat gezeigt, dass rund 80 Prozent der Kinder ihre Täter kennen, und zwar aus der Schule, weil sie in die gleiche Klasse gehen oder zumindest in die gleiche Schule. Das heißt, Cybermobbing ist die Fortsetzung des klassischen Mobbings, das in der Schule beginnt und sich dann in der Cyberwelt fortsetzt. Nichtsdestotrotz ist es ein Problem.
Und wie kann die Schule dieses Problem angehen?
Katharina Scheiter: Sie sollte für ein positives Schulklima sorgen, das ist der größte Schutzfaktor. Es ist entscheidend, dass explizit über das Thema gesprochen wird, dass es Vertrauens- und Ansprechpersonen sowohl bei den Lehrkräften als auch bei den Mitschülerinnen und Mitschülern gibt, an die man sich wenden kann. Und dass es auch ein ganz klares Commitment gibt, also ein ganz explizites Adressieren der Frage: Wie möchten wir eigentlich selbst behandelt werden und wie gehen wir mit anderen um?
Die Schulen sollten also mehr Eigenverantwortung beim Thema Handyverbot bekommen?
Katharina Scheiter: Schulen haben eine gewisse Autonomie und die sollten sie auch an dieser Stelle ausleben dürfen. Sie kennen ihre Schülerinnen und Schüler und wissen, wie groß die Probleme sind. Schulen, die schon lange sehr gute Medienbildungskonzepte haben, haben vielleicht weniger Probleme mit der Handynutzung und möchten dann auch kein kategorisches Handyverbot aussprechen. Wir müssen auch bedenken, dass ein kategorisches Handyverbot für viele Schulen bedeutet, dass kein digital gestützter Unterricht mehr stattfinden kann. Denn die flächendeckende Ausstattung mit digitalen Endgeräten, die durch die Schule gestellt werden, ist noch lange nicht umgesetzt.
Sie meinen das Konzept BYOD (bring your own device), bei dem die privaten Geräte der Kinder genutzt werden?
Katharina Scheiter: Ja. Allerdings halte ich das Konzept BYOD für schwierig. Es ist mit vielen Probleme verbunden. Das beginnt schon damit, dass in der Klasse verschiedene Gerätetypen mit unterschiedlichen Funktionsweisen vorhanden sind und Apps auf dem einen Gerät laufen, auf dem anderen aber nicht. Für die Lehrkraft ist das extrem herausfordernd. Die beste Lösung ist: Es gibt einheitliche Schulgeräte, die werden von der Schule bespielt und gemanagt.
Medienkompetenzvermittlung ist eine verpflichtende Aufgabe
Die Realität sieht allerdings anders aus. Dennoch müssen Kinder lernen, sich in der digitalen Welt zurechtzufinden. Und Lehrer müssen dieses Wissen vermitteln. Können sie das?
Katharina Scheiter: Da gibt es große Diskrepanzen zwischen Lehrkräften, die wissen, was die Kinder bewegt und was sie im digitalen Raum nutzen und anderen, die kaum ahnen, was auf Social Media passiert oder welche Plattformen gerade aktuell sind. Es ist aber wichtig, das Medium aktiv in den Unterricht einzubinden. Wenn ich mir zum Beispiel das Thema Bildschirmzeit angucke. Wer hat denn wie viel Bildschirmzeit? Das diskutiert man in der Klasse und fragt: Was ist angemessen? Oder: Wann findet eure Bildschirmzeit statt, ist es wirklich gut, abends vor dem Schlafengehen noch mal einmal durch das gesamte Internet zu browsen? Diese aktive Auseinandersetzung ist wichtig. Aber hier wird schon ein anderes Problem sichtbar: Eltern nehmen ihre Erziehungsaufgabe nicht ausreichend wahr. Sie versorgen die Kinder mit den Geräten, aber sie sprechen zu wenig mit ihnen darüber, was angemessene Mediennutzung bedeutet. Häufig ist es sogar noch schlimmer. Sie werden zu negativen Vorbildern, wenn sie am Abendbrottisch ihr Handy ständig griffbereit haben oder wenn sie das Gespräch mit dem Kind gnadenlos unterbrechen, weil eine neue Message hereinkommt.
Aber auf dieses elterliche Verhalten hat man kaum Einfluss. Die Schule hingegen kann Medienkompetenz vermitteln und auch vorleben.
Katharina Scheiter: Medienkompetenzvermittlung ab Klasse eins steht in den Rahmenrichtlinien. Das heißt, es ist eine verpflichtende Aufgabe. Die wird nur sehr unterschiedlich interpretiert. Es gibt Schulen, die das sehr intensiv machen, andere tun dies weniger und wahrscheinlich gibt es auch viele Grundschulen, die das Thema gar nicht auf dem Schirm haben. Momentan existiert ja in einigen Bundesländern, in denen das BSW oder die AFD Einfluss auf das Bildungssystem haben, diese Idee, bis zur sechsten Klasse nur Papier und Bleistift zu nutzen. Und das macht mir ein bisschen Sorge. Es wird der Realität überhaupt nicht gerecht. Wir müssen uns nur die privaten Mediennutzungszeiten von Grundschulkindern angucken. Sie sind häufig unbeaufsichtigt und unkontrolliert im Netz unterwegs. Es ist unverantwortlich, wenn man sie sechs Jahre lang vor sich hinbrowsen lässt, und in Kauf nimmt, dass sie diese ganzen negativen Erfahrungen machen, angefangen bei sexuellen Annäherungsversuchen über Gewaltdarstellung oder Hetze bis zu Cybermobbing, ohne dass man ihnen die notwendigen Kompetenzen vermittelt. Ich nenne das manchmal etwas böswillig Frischluftpädagogik. Keine Frage, Kinder brauchen Bewegung, sie müssen alternative Freizeitangebote nutzen, aber es ist auch keine sehr realistische Sichtweise auf die Zukunft und die Gegenwart, wenn man die digitale Welt in der Schule außen vorlässt.
In den Medien wird aktuell immer wieder eine Meta-Studie zitiert, die beweisen soll, dass ein Handyverbot viele positive Wirkungen hat.
Katharina Scheiter: Diese Meta-Analyse zum Thema Handyverbot ist fragwürdig, denn sie basiert auf insgesamt fünf Studien mit eingeschränkter Qualität. Würde man die Meta-Analyse als aussagekräftig interpretieren, würde sie im Übrigen gerade nicht zeigen, dass Handyverbote sich positiv auf Lernergebnisse auswirken. Für die Reduktion von Cybermobbing ist der entsprechende Effekt sehr klein und geht auf eine einzige Studie zurück. Mir ist es daher wichtig zu betonen: Wenn wir über Handyverbote diskutieren, diskutieren wir ohne Evidenz.
Auf der einen Seite fordert die Politik Handyverbot. Auf der anderen Seite gibt es Pilotprojekte zur Nutzung von KI im Unterricht. Wie passt das zusammen?
Katharina Scheiter: KI wird Einzug halten oder hat schon Einzug gehalten in die Schule. Allein schon deswegen, weil Schülerinnen und Schüler sie nutzen. Das ist wohl auch der Grund, warum sich die Schulen oder die Bildungsministerien extrem schnell mit dem Thema auseinandergesetzt haben, weil sie gemerkt haben: Das können wir ansonsten nicht kontrollieren. Ich sehe auch eine gewisse Fragmentierung dieses ganzen Diskurses: Handys sollen rigoros verboten werden und bei KI wittert man große Potenziale. Das macht es für die Lehrkräfte tatsächlich nicht einfacher.
Zur Person
Dr. Katharina Scheiter ist Professorin für Digitale Bildung im Department Erziehungswissenschaft an der Universität Potsdam.