Quereinstieg ins Lehramt
Notlösung oder Chance?
Quereinstiege sind Realität in den Schulen. In manchen Bundesländern würde die Schule ohne dieses Modell wohl gar nicht mehr funktionieren. Und die Zahl der Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger wird eher wachsen als sinken, denn es ist erwiesen, dass der Lehrermangel in den nächsten Jahren zunehmen wird. Die Frage lautet nur: Wie kann aus dem Einstieg ein Erfolg für alle Beteiligten werden?
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz hat gerade in ihren öffentlich heftig diskutierten „Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrermangel“ verschiedene Maßnahmen empfohlen, die den Mangel zumindest lindern sollen. Dabei legt sie den Schwerpunkt weniger auf den Quereinstieg, als vielmehr auf pädagogisch qualifizierte Fachkräfte, die zum Beispiel ihre Teilzeit erhöhen, aus dem Ruhestand kommen oder auch fach- und schulformfremd unterrichten sollen. Ob und wie diese Empfehlungen umgesetzt werden, wird von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein und gewiss nicht von heute auf morgen passieren. Quereinsteiger bleiben also für den Schulbetrieb unerlässlich.
Laut Kultusministerkonferenz sollen bis 2035 insgesamt etwa 24.000 Lehrkräfte fehlen. Nach Berechnungen des Bildungsforschers Klaus Klemm könnte dieser Mangel erheblich höher liegen, nämlich bei 85.000 Lehrkräften. Und das heißt auch: Die Anzahl der Quereinstiege wird wachsen müssen. Im bundesweiten Schnitt lag der Anteil der Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger bei den Neueinstellungen in den vergangenen Jahren bei mehr als zehn Prozent, in Berlin betrug diese Quote im Jahr 2021 sogar rund 60 Prozent. Und selbst Bayern, das noch vor wenigen Jahren komplett auf den Quereinstieg verzichten konnte, setzt mittlerweile auf dieses Modell. Seit dem Schuljahr 2021/22 gibt es hier erstmals Quereinsteigende in den Vorbereitungsdienst an Mittelschulen.
Was heißt eigentlich Quereinstieg?
Quereinsteigende haben in der Regel anstelle des Lehramtsstudiums ein fachwissenschaftliches Studium absolviert. Mit diesem Studium bekommen sie dann zwei Unterrichtsfächer an der Schule zugewiesen, etwa bei einem Physikstudium die Fächer Physik und Mathematik. Damit können sie dann direkt in das Referendariat einsteigen und damit, so wie „reguläre“ Referendarinnen und Referendare, auch unterrichten. Dabei gibt es von Bundesland zu Bundesland aufgrund der Länderhoheit Unterschiede. So müssen gelegentlich vor dem Referendariat noch Lehrveranstaltungen an der Universität besucht werden. Im Unterschied dazu sind die Seiteneinsteiger/-innen durch ihr Studium nur für ein Schulfach qualifiziert und müssen keinen Vorbereitungsdienst absolvieren.
Bereicherung oder Niveauabfall?
Oft werden Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger als Notlösung oder als Risiko wahrgenommen. Dabei wird gern übersehen, dass sie meist sehr engagiert in den Beruf einsteigen und dass sie außerdem viele Kompetenzen mitbringen. Etwa ihre Berufserfahrungen außerhalb von Schule, die sie – anders als die meisten Lehrkräfte – gemacht haben und dank derer sie das „richtige Leben“ an die Schule bringen können. Eine Bereicherung also für die Schülerinnen und Schüler und die gesamte Schule.
Die Studie „Unterschiedliche Wege ins Lehramt – unterschiedliche Kompetenzen?“, die im Jahr 2020 von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Potsdam veröffentlicht wurde, hat gezeigt, dass die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger eine starke inhaltliche Nähe zu dem von ihnen unterrichteten Fach aufweisen – schließlich war es im Studium einmal ihre erste Wahl. In fachlicher Hinsicht schneiden sie demnach also nicht schlechter ab als reguläre Lehramtsanwärterinnen.
Darüber hinaus belegte die Studie mehr Stressresistenz bei den Quereinsteigerinnen. Und sogar die fachdidaktischen Kompetenzen waren bei beiden Gruppen erstaunlicherweise auf einem ähnlichen Niveau. Weniger gut waren allerdings die pädagogisch-psychologischen Kenntnisse der Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger. Vor einem grundsätzlichen Niveauabfall des Unterrichts warnt in diesem Zusammenhang der Deutsche Philologenverband und hat jetzt die Kultusministerkonferenz aufgefordert, endlich die überfälligen Qualitäts-Standards für die anspruchsvolle Nachqualifikation von Quer- und Seiteneinsteigern in das Lehramt vorzulegen.
Wer Quer- und Seiteneinsteiger ins Lehramt aufnehme, der müsse auch dafür sorgen, dass diese so ausgebildet sind, dass sie nicht nach wenigen Jahren wieder aussteigen. Eine Forderung, die auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft stellt. Sie unterstützt grundsätzlich den Vorschlag, weiteres Personal zur Entlastung und Unterstützung von Lehrkräften einzusetzen, allerdings nur, wenn auch eine nachhaltige Qualifikation gesichert sei.
Gute Lösungen – was können Schulen tun?
Solange es aber diese einheitlichen Standards für die Nachqualifikationen nicht gibt, sind wohl die Schulen selbst gefordert, aktiv zu werden. Denn Quereinsteigerinnen müssen sich irgendwie das pädagogische Wissen und das Wissen über Unterrichtsmethoden aneignen, das grundständig ausgebildete Lehrkräfte während ihres Studiums erwerben. Sie brauchen also neben einer Einarbeitungszeit auch tatkräftige Unterstützung des Kollegiums und der Schulleitung. Das ist nicht immer einfach. Schließlich stehen Schulleitungen und Lehrkräfte unter enormem Druck und können diese Unterstützung oftmals nicht leisten. Sie wissen nicht, woher sie die dafür notwendige Zeit nehmen sollen.
Doch es gibt gute Beispiele und kreative Lösungen, wie Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger auf ihrem Weg unterstützt werden können. Etwa das Berliner Patenprogramm, das in der Regel noch vor dem ersten Unterrichtstag beginnt und bei dem über sechs Phasen hinweg Quereinsteigende in ihrem schulischen Alltag unterstützt werden. Ebenfalls in Berlin hat die GEW ein Programm aufgelegt, bei dem Lehrkräfte aus dem Ruhestand ehrenamtlich die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger begleiten. Beispiele, die auch von anderen Bundesländern oder auch nur von einzelnen Schulen adaptiert werden könnten.
Gut auch, wenn an den Schulen trotz aller Belastung noch Zeit für ein Mentorenprogramm mit Hospitationen bleibt. Aus den Hospitationen lässt sich oft mehr lernen als aus einem Fachbuch. Und profitieren können dabei beide: Mentorinnen und Mentoren sowie die Quereinsteigenden. Schließlich können in einem solchen Austausch viele neue Ideen entstehen – gerade, wenn die Beteiligten ganz unterschiedliche Erfahrungen mitbringen.
Und es gibt noch mehr Möglichkeiten. So lässt sich an der Schule auch ein Gesprächskreis etablieren, der sich mit verschiedenen Themen des Schulalltags beschäftigt, angefangen von Unterrichtsstörungen über Schulentwicklung oder differenzierten Unterricht bis zu Rechtsvorschriften oder Elterngesprächen. Allesamt Themen, die nicht nur für die Neuen wichtig sind. Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger können überdies in einem solchen Gesprächskreis ihre bisherigen beruflichen Erfahrungen einbringen. Das kann für Lehrkräfte, die ihr gesamtes Berufsleben an der Schule verbracht haben, ein interessanter Input sein. Außerdem können Quereinsteigende Kontakte zu Expertinnen und Experten vermitteln, die den Unterricht bereichern. Sie können die Schulen auch bei der Suche nach Praktikumsplätzen oder Betriebsbesichtigungen und Exkursionen unterstützen. Wenn sich möglichst viele Lehrkräfte für einen solchen Gesprächskreis engagieren, lastet die Verantwortung – und die Arbeit – nicht nur auf einer Person.
Der gute Wille und das Engagement vor Ort sind also ein entscheidender Faktor für einen gelingenden Quereinstieg. Aber damit allein ist es auf Dauer nicht getan. Oder wie es der Erziehungswissenschaftler Ewald Terhart auf einer Fachtagung des Netzwerks Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung im März 2019 formulierte: „Die Akteure in der Lehrerbildung und am Ende die KMK sollten Mindeststandards für die Gewinnung, Qualifizierung und Beschäftigung von Seiten- und Quereinsteiger_innen erarbeiten. Denn Seiten- und Quereinsteiger_innen gab es schon immer und wird es immer geben. Es ist sinnlos und unverantwortlich, den Blick davor zu verschließen.“
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