Unterrichten im sozialen Brennpunkt
Tipps für Lehrer/-innen an schwierigen Schulstandorten
Sie brauchen von allem eine Extraportion: mehr Gelassenheit und Idealismus, mehr Improvisationstalent, mehr Kollegialität. Lehrerinnen und Lehrer an Brennpunktschulen stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen – bei der Unterrichtsgestaltung, bei der Zusammenarbeit mit Eltern oder externen Helfer/-innen und bei der eigenen gesundheitlichen Vorsorge. Diese Tipps können Ihnen dabei helfen.
Ihre Schülerinnen und Schüler kommen meist aus einkommensschwächeren Familien. Die Eltern haben oft wenig Zeit oder Lust, sich um den schulischen Erfolg ihrer Kinder zu kümmern. Ihre Umgebung ist alles andere als das beste Viertel der Stadt. Viele ihrer Schüler/-innen fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen und sehen für sich kaum Perspektiven für eine gute Zukunft. Lehrerinnen und Lehrer an Brennpunktschulen stehen vor vielen Herausforderungen. Von ihnen wird ein überdurchschnittliches Engagement gefordert. Denn über das Unterrichten hinaus ist oft ihre Unterstützung gefragt: um Schülerinnen oder Schülern bei familiären Problemen zu helfen, um mit Psycholog/-innen und Sozialarbeiter/-innen zusammenzuarbeiten, um die Eltern zur Teilnahme am schulischen Leben zu motivieren und vieles mehr.
Problematische Rahmenbedingungen
Dabei sind die Rahmenbedingungen meist ungünstig: Stellen werden eher gekürzt als aufgestockt, körperliche und psychische Gewalt belastet manche Schüler/-innen, es fehlt häufig an Respekt und an außerschulischer Unterstützung. Das geht an die Substanz. „Warum mich mein Job als Lehrerin am Brennpunkt fast meine Gesundheit gekostet hätte“ und „In der Klasse herrscht Klassenkampf“ sind zwei pointierte Schlagzeilen, unter denen die Pädagogin Marlou Hundertmark ihre Erfahrungen in viel diskutierten Artikeln zusammengefasst hat.
Umso wichtiger sind außerschulische Kooperationen und Netzwerke, die Schüler/-innen und Lehrkräfte an sozialen Brennpunkten unter die Arme greifen. Ohne diese gesellschaftliche Unterstützung ist es sehr schwer, den Schüler/-innen eine schulische Perspektive zu bieten. Dabei können Betriebe und Unternehmen ebenso eingebunden werden wie die Berufsberatung, religiöse Gemeinschaften, Sportvereine, Sozialarbeiter, Künstler und Kreative. Um ein solches unterstützendes Netzwerk um die Schule herum zu knüpfen, braucht es Zeit und Geduld – ein Aufwand, der sich langfristig lohnt.
Brandbriefe haben aufgeschreckt
Nicht zuletzt aufgrund mehrerer „Brandbriefe“ von Schulen und Lehrkräften – einer der bekanntesten kommt von der Berliner Rütli-Schule – ist die pädagogische Arbeit an Brennpunktschulen zunehmend in das öffentliche Interesse gerückt. Punktuell kommt inzwischen Unterstützung. Zum Schuljahresbeginn 2024/25 ist das Startchancen-Programm geplant, das etwa 4000 Schulen unterstützen soll. Das Programm zielt darauf ab, Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zu fördern. Kindern aus einkommensschwachen Familien sollen dadurch bessere Startchancen geboten werden. Zudem ist es das Ziel, die Zahl der Schülerinnen und Schüler zu verringern, die nicht ausreichend über grundlegende Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen verfügen. Eine verbesserte reguläre Unterstützung – etwa die Schaffung neuer Stellen – können Förderprogramme allerdings nicht ersetzen. So lastet auch weiterhin vieles auf den Schultern der Lehrkräfte, deren Engagement in besonderer Weise gefragt ist.
6 Tipps für die pädagogische Arbeit an Brennpunktschulen
1. Störungsfrei unterrichten: Wissen spielend anwenden
Sich spielerisch mit den Inhalten auseinanderzusetzen bringt Abwechslung in den Unterrichtsalltag, macht Spaß und weckt so auch das Interesse schwieriger Schüler/-innen. Ein Vorschlag für ein leicht zugängliches Spiel: aus einer Reihe von Begriffen zum aktuellen Unterrichtsthema (Integralrechnung, Gedichtinterpretation, Klimawandel usw.) sollen die Schüler/-innen das „schwarze Schaf“ aussortieren. Noch interessanter wird es, wenn Sie die Schülerinnen und Schüler auffordern, selbst ein Spiel zum Thema zu entwickeln.
2. Verhaltensregeln setzen: Gemeinsam die Vorgaben erarbeiten
Je stärker die Schüler/-innen bei der Gestaltung der Schul- und Unterrichtsregeln mitwirken können, umso größer wird ihre Bereitschaft sein, sie später zu respektieren und sich daran zu halten. Erarbeiten Sie gemeinsam mit den Schüler/-innen einige Regeln für den Unterricht. Ein paar Beispiele: Regeln für eine respektvolle Gesprächskultur im Klassenraum, für die Umsetzung der Gleichberechtigung, für den Umgang mit Handys im Unterricht oder für die Lösung von Streits und Interessenskonflikten. Seien Sie mutig: Auch die Schulordnung muss nicht allein von der Schulleitung vorgegeben werden. Sie werden überrascht sein, wie verantwortungsvoll Ihre Schüler/-innen sein können, wenn ihre Stimme zählt.
3. Kollegialen Schulterschluss schaffen: Arbeitskreis Schulklima aufbauen
Das Schulklima hat entscheidenden Einfluss auf die Motivation und die Gesundheit der Lehrer/-innen. Eine Arbeitsgruppe zu gründen, die explizit die Kommunikation und Zusammenarbeit unter den Kolleg/-innen stärkt, kann spürbar zur Verbesserung des Schulklimas beitragen. Teambuilding-Maßnahmen und regelmäßige Evaluationen des kollegialen Miteinanders sollten fest auf der Agenda stehen. Auch die Frage, ob es Gräben etwa zwischen Fach- oder Kompetenzbereichen gibt, sollte geklärt werden. Schulinterne Anlaufstellen für Lehrer/-innen mit Problemen kann der Arbeitskreis dann allen Kolleginnen und Kollegen vorstellen.
4. Überforderte Eltern unterstützen: Für Kooperationen sorgen
Vielleicht fällt Ihnen im Gespräch mit den Eltern auf, dass sie sehr nervös sind, dass ihre Stimmen zittern und die Körperhaltung verkrampft ist. Das spricht dafür, dass sie sich überfordert fühlen. Als Lehrkraft können Sie sicher nicht in allen Situationen helfen, etwa wenn familiäre Gründe wie Scheidung oder Arbeitslosigkeit dahinterstehen. In solchen Fällen sollten sie die professionelle Hilfe von Psychologen oder Sozialarbeitern vermitteln. Aber Sie können die Eltern auch dadurch unterstützen, dass Sie von positiven Entwicklungen im Lern- und Sozialverhalten der Kinder berichten. Helfen kann auch der Hinweis, dass die Schule als Experte für das Verhalten des Kindes in der schulischen Umgebung auch Verantwortung übernimmt und diese nicht allein auf den Schultern der Eltern lastet. Geben Sie den Eltern das Vertrauen, dass sie nicht allein sind, und dass Sie zusammen als Team das Beste für das Kind wollen.
5. Externe Helfer finden: Mit Vereinen zusammenarbeiten
Mit Vereinen in der Nachbarschaft der Schule können sich spannende Kooperationen ergeben, die für alle Seiten vorteilhaft sind. Ihre Schüler/-innen können zum Beispiel von gemeinsamen Sport- und Kreativkursen profitieren, weitere Kontakte knüpfen oder in sozialen Projekten neue Interessen entdecken.
Achten Sie unbedingt darauf, dass auch die Vereine von der Partnerschaft profitieren und dadurch motiviert sind, nachhaltig dranzubleiben. Zum Beispiel kann die Schule sie bei der Nachwuchsförderung unterstützen oder pädagogische Hilfe und Aufsicht bei Vereinsfesten oder -freizeiten anbieten. Denken Sie auch um die Ecke: Bitten Sie einen Trainer des Sportvereins vor Ort, mit den Schüler/-innen über Fair Play, das Einhalten von Regeln und Sanktionen zu sprechen, vielleicht auf dem Sportplatz statt im Klassenraum. Greifen Sie darauf zurück, wenn es demnächst Probleme im Pausenhof oder Klassenraum gibt.
6. Für sich selbst sorgen: Nicht die Luft anhalten
In Ihrem schulischen Alltag an einer Brennpunktschule erleben Sie immer wieder Situationen, in denen Ihnen im wahrsten Sinn des Wortes die Luft wegbleibt oder Ihnen ein Kloß im Hals steckt. Körper und Geist stehen dabei in einem direkten Verhältnis zueinander: Psychische Belastungen spüren Sie auch im Körper. Umgekehrt können Sie sich durch Achtsamkeit und bewusstes, tiefes Atmen wieder beruhigen.
Um in der Hektik des Schulalltags daran zu denken, überlegen Sie sich eine persönliche Merkhilfe: Das kann ein kleiner Aufkleber auf Ihrem Lieblingsstift oder eine Heftklammer sein. Für mehr Ruhe und Gelassenheit können Sie sich mit Meditationsübungen vertraut machen. Kleine Übungseinheiten lassen sich gut in den schulischen Alltag integrieren.
Fortbildungen der Cornelsen Akademie
Schwierige Schüler/-innen – und wie man sie führt
Sie erfahren, wann und wie Sie Störungen am besten stoppen, wie Sie richtig sanktionieren und wie Sie Ihre seelische Belastung in Konfliktsituationen reduzieren.
Gewalt ist kein Mittel - Gewaltprophylaxe im Unterricht (SchiLf)
Sie erproben wirksame Maßnahmen zur Verhinderung, Eindämmung und zum Abbau von Gewalt und Mobbing. Sie erfahren, wie Sie als Kollegium durch die konsequente Doppelstrategie „Weich zu den Menschen und hart in der Sache" zur Deeskalation beitragen können.