Unterricht gestalten / 01.08.2024

Eva von Scheven über modernen Lateinunterricht und ein Lehrwerk mit vielen neuen Ideen

„Wichtig ist, dass man die Wortschatzarbeit so motivierend wie möglich gestaltet“

„Und zu nächster Woche lernt ihr die Vokabeln von Lektion 12!“ Diesen Satz hört kein Schüler, keine Schülerin gern. Allein Vokabellisten pauken, fremde Vokabeln aus einer alten Zeit – schnell stellt sich die Sinnfrage und das Buch wird wieder zugeschlagen. Das Resultat: Mangelhafte Vokabelkenntnisse und Frust bei Lernenden wie Lehrenden. Wie können Schülerinnen und Schüler erfolgreich Lateinvokabeln lernen, möglicherweise sogar für das Fach brennen? Braucht es andere Lehrwerke, andere Hilfsmittel, einen anderen Unterricht? Das haben wir Eva von Scheven gefragt, die gerade ein neues Lehrwerk für den Cornelsen Verlag mitentwickelt hat.

Bild: Cornelsen/Inhouse

Frau von Scheven, wie beginnt heute die erste Lateinstunde für die Schülerinnen und Schüler?

Eva von Scheven: Eine Möglichkeit besteht darin, die Schülerinnen und Schüler mit Wörtern abzuholen, die sie aus ihrem Alltag kennen. Also warum heißt ein „Aquarium“ „Aquarium“? Oder warum heißt die Automarke „Audi“? Oder der Paketdienst „Hermes“? Dann haben die Kinder ganz oft Aha-Erlebnisse und werden neugierig, weil sie merken, wie viel Latein in unserem Alltag steckt.
 

Aber trotzdem ist das Lernen von Lateinvokabeln schwieriger als in einer anderen Sprache?

Eva von Scheven: Die modernen Fremdsprachen kämpfen tatsächlich nicht so mit dem Wortschatz wie wir im Lateinischen. Und dabei müssen die Schülerinnen und Schüler im Lateinischen sogar sehr viel weniger Vokabeln lernen als im Englischen oder Französischen. Dennoch ist das ein großes Problem. Das liegt u.a. daran, dass sie die gelernten Wörter im Alltag nicht aktiv anwenden können. Hinzu kommt, dass die Vokabeln in den Lehrwerkstexten auch nicht so häufig vorkommen wie im Englischen und Französischen – umso mehr müssen wir Lehrkräfte uns bemühen, dass sie im Kopf bleiben. Ich sehe das bei meinen eigenen Kindern: Wenn sie Englischvokabeln lernen, das sind pro Schuljahr mehr als doppelt so viele Vokabeln wie in Latein. Ein solches Pensum könnte man in Latein keinem Schüler, keiner Schülerin zumuten.

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Motivierende und schüleraktivierende Vokabeleinführung

Wie kann man hier Abhilfe schaffen?

Eva von Scheven: Man muss der Wortschatzarbeit deutlich mehr Raum geben und ihr einen Schwerpunkt im Lateinunterricht verschaffen. Im neuen Lehrwerk tun wir das und heben uns damit von anderen Lehrwerken ab, die der Wortschatzarbeit nicht so viel Raum geben.
 

Das heißt?

Eva von Scheven: Die Schülerinnen und Schüler werden zum einen nicht alleingelassen mit den Vokabellisten im Buch, die wir alle noch aus unserer eigenen Schulzeit kennen und die wir dann bis zur nächsten Stunde auswendig lernen mussten. Das neue Buch gibt Raum für eine motivierende und schüleraktivierende Vokabeleinführung, an der sich alle Schülerinnen und Schüler beteiligen können, auch die schwächeren. Zum Beispiel erfolgt die Vokabeleinführung über Kontextbilder, aus denen sich die Schülerinnen und Schüler Vokabeln erschließen können. Wenn am Himmel zum Beispiel eine Sonne zu sehen ist und daneben "sol“ steht, wird klar, dass „sol“ „Sonne“ heißt, im blauen Himmel wäre die Vokabel „caelum“ zu sehen, neben einem Baum „arbor“. Andere Vokabeln, die sich visuell nicht so einfach erschließen lassen, werden durch Vokabelgeschichten eingeführt, in die neue Vokabeln verpackt sind - ein bisschen spielerisch und ein bisschen mit Rätselcharakter. Die Schülerinnen und Schüler erschließen sich die Vokabelbedeutungen also selbst, sie werden aktiv herangeführt und bekommen sie nicht einfach vorgesetzt.
 

Das klingt motivierend. Aber wie geht es dann weiter?

Eva von Scheven: Um die neu erschlossenen Vokabeln zu sichern und eine weitere Beschäftigung und Auseinandersetzung mit ihnen zu erreichen, werden den Schülerinnen und Schülern und auch den Lehrkräften aktivierende Vokabellisten kostenlos zum Download zur Verfügung gestellt. Die sehen einer klassischen Vokabelliste schon ähnlich. Denn es gibt auf der linken Seite die lateinischen Vokabeln und auf der rechten Seite die deutsche Übersetzung. Aber zwischengeschaltet ist ein relativ großer Bereich, in dem sich erneut kleine Bilder finden können, die zur Visualisierung beitragen. Dann ist da aber noch viel Platz, auf dem sich die Schülerinnen und Schüler eigene Merkhilfen notieren können. Bei „sol“ könnten sie zum Beispiel „Solarium“ oder „Solarenergie“ aufschreiben. Auch Bezüge zu anderen Sprachen können hier individuell notiert werden, dem Türkischen, dem Arabischen, dem Polnischen. Hier gibt es viel mehr Bezüge, als wir Lehrkräfte oft denken. Kinder, die zu Hause neben Deutsch noch eine andere Sprache sprechen, sind oft sehr stolz, wenn ihre Muttersprache auf diese Weise einen Platz im Lateinunterricht findet. Wichtig ist, dass jedes Kind sich eigene Hilfen, eigene Bezüge, eigene Assoziationen notiert. Damit ist im Gehirn schon ein anderer Prozess abgelaufen, als wenn die Kinder in einer Liste lesend zur Kenntnis genommen hätten: „Sol“ heißt „Sonne“. Ich glaube, noch kein anderer Verlag bietet diese aktivierenden Listen an.

„Ich plädiere immer dafür, der Wortschatzarbeit ganz viel Raum zu geben“

Das neue Lehrwerk kommt erst im Laufe dieses Jahres auf den Markt. Was können Sie Lehrkräften aktuell für ihren Unterricht empfehlen?

Eva von Scheven: Es ist nicht schwer, diese Wortschatzlisten zu erstellen. Das ist einfach eine Tabelle, in der links das lateinische und rechts das deutsche Wort steht, und dazu kommt dieses große Feld in der Mitte. Das Anfertigen der kleinen Bilder kann man auch in die Hand der Schülerinnen und Schüler geben. Kinder übernehmen ja in der Regel gern Verantwortung. Und man hat in jeder Klasse Kinder, die gern und gut zeichnen. An sie kann man die Aufgabe übertragen: „Überleg dir zu möglichst vielen Vokabeln aus dieser Lektion kleine Bilder, die den anderen eine Hilfe sein können.“ Und dann muss die Lehrkraft nur noch kopieren. Ansonsten plädiere ich immer dafür, der Wortschatzarbeit ganz viel Raum zu geben. Und vielleicht die eine oder andere Grammatikübung mal zurückzustellen gegenüber einer Wortschatzstunde.
 

Was bedeutet denn Wortschatzstunde?

Eva von Scheven: Hier gibt es auch viele verschiedene Möglichkeiten. Für das neue Lehrwerk hat eine Kollegin einen sogenannten Werkzeugkoffer entwickelt, der viele motivierende Übungsformen zur Verfügung stellt, die dann je nach Interesse der Schülerinnen und Schüler und der Lehrkräfte angewendet werden können. Da gibt es Anregungen zum pantomimischen Arbeiten, zum Zeichnen, zum Malen oder für Spiele - ein großes Repertoire, aus dem sich die Lerngruppen dann etwas aussuchen können.

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„Die Hilfe muss von den Verlagen und von den Lehrkräften kommen“

Und was kann man gegen die zu geringe Wiederholung der Vokabeln tun, über die wir eingangs gesprochen haben? Was empfehlen Sie Ihren Schülerinnen und Schülern?

Eva von Scheven: Dieses Problem können die Schülerinnen und Schüler nicht lösen. Die Hilfe muss von den Verlagen beziehungsweise von den Lehrkräften kommen. Man kann Lehrbuchtexte zum Beispiel stark verlängern und gleichzeitig ganz stark vereinfachen, damit die Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, diese Texte zu lesen. Ein Übersetzen ist hier dann nicht verlangt. Es geht schlichtweg darum, Vokabeln immer und immer wieder kontextualisiert zu präsentieren und dadurch zu wiederholen. Auf diese Weise prägen sie sich besser und nachhaltiger ein. Texte in einem solchen Stil – lang, sehr einfach, redundant im Wortschatz – bereiten den Schülerinnen und Schülern schnell ein Erfolgserlebnis: Das Gefühl „Ich verstehe einen lateinischen Text auf Anhieb“ steigert die Motivation, den Lernerfolg und damit die Freude am Fach.
 

Diese Erfahrungen haben Sie auch selbst gemacht?

Eva von Scheven: Ja. Ich schreibe Lehrbuchtexte um, vereinfache sie und lasse Vokabeln immer wieder vorkommen. Ich kenne auch Kolleginnen und Kollegen, die das machen. Das ist natürlich zeitaufwendig, aber es rentiert sich. Und das Schöne ist, dass die Schülerinnen und Schüler dafür wirklich dankbar sind, weil sie merken, dass ihnen dieses Verfahren hilft. Da fallen Sätze wie „Oh, ich wusste gar nicht, dass es lateinische Texte gibt, die man direkt verstehen kann.“ oder „Können wir die lange leichte Version in der Klassenarbeit auch bekommen, damit wir den Übersetzungstext besser verstehen?“
 

Ja, dieser schwierigere Text muss ja auch noch übersetzt werden? Wann passiert das?

Eva von Scheven: In einem zweiten Schritt gehe ich dann zum Lehrbuchtext über, mit dem die Schülerinnen und Schüler viel besser zurechtkommen, da das Vokabular weitestgehend sitzt und der Inhalt bekannt ist. Auf dieser Basis können sich die Schülerinnen und Schüler dann viel besser auf die Grammatik konzentrieren und ihre Gedanken und Mühe in das Anfertigen einer wirklich guten, den Sinn treffenden deutschen Übersetzung investieren.
 

Das ist aber auch eine zusätzliche Arbeit für sie als Lehrerin. Das heißt, es wird auch nicht jeder machen.

Eva von Scheven: Richtig, so ist es. Und auch hier soll das neue Lehrwerksprojekt Hilfe bieten: In Planung ist, dass es diese sogenannten extensiven Texte zu jeder Lektion im Downloadbereich gibt. Wer möchte, kann diese Version dann nutzen.
 

Wird es auch eine begleitende App geben?

Eva von Scheven: Eine App wird es zu dem neuen Lehrwerk natürlich auch geben. In der App finden sich zu allen Bereichen der Lektion – also zum Wortschatz, zur Grammatik, zur Übersetzung, zur Sprachbildung und zur Realienkunde – ergänzende interaktive Übungen, die das Lernen unterstützen.

Zur Person
Eva von Scheven hat das Lehramtsstudium für die Fächer Latein und Biologie absolviert und ist am Eckener-Gymnasium in Berlin tätig. Hier war sie ab 1999 am Aufbau eines altsprachlich-grundständigen Zuges beteiligt und ist mit der Leitung des Fachbereichs Latein betraut. Seit 2007 ist sie außerdem für das Fach Latein in der Berliner Lehrkräftefortbildung tätig. Daneben publiziert sie im Bereich Wortschatz und ist Autorin und Herausgeberin von Lehrwerken.

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Allgemeine Ausgabe 2024

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  • Praktisch portioniert: Einteilung in überschaubare Abschnitte zur Entlastung der Lehrkraft
  • Optimal fördern: transparente Binnendifferenzierung in bis zu drei Niveaus in allen Kompetenzbereichen
  • Digital, soviel Sie mögen: Entlastung durch vielfältiges digitales Begleitmaterial für Lehrende und Lernende

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