Minusstunden durch Corona?
Schulrechtsfall Dezember 2020
In Zeiten von Corona sind Lehrkräfte manchmal gezwungen zu Hause zu bleiben. Werden für diese Zeit eigentlich Minusstunden angeschrieben?
Normalerweise finden Sie an dieser Stelle einen Schulrechtsfall mit Anna Nass und Peter Sielje, der nach einem bestimmten Schema aufgebaut ist: zuerst der Ausgangsfall, dann die Frage, darauf die Antwort und schließlich meine Kommentierung. Heute wähle ich, aus gutem Grund, ein anderes Vorgehen. Denn die gleich folgende Problematik erfordert einen systematischen Aufbau, der sich beim besten Willen nicht in das herkömmliche Schema pressen lässt. Es geht um die Frage, ob für die Zeit, die Lehrkräfte coronabedingt zu Hause sind, Minusstunden angerechnet werden, die später nachzuholen sind.
Um diese Frage zu beantworten, sind 3 Fälle zu unterscheiden:
1. Fall
Eine Lehrkraft ist selbst mit dem Corona-Virus infiziert und muss ins Krankenhaus oder nach ärztlicher Behandlung zu Hause in die Isolation. Die hierdurch ausfallenden Unterrichtsstunden braucht sie natürlich nicht nachzuholen, da sie krank ist. Denn Fehlzeiten, die durch eine eigene Krankheit entstehen, müssen nicht nachgeholt werden. Das ist bei allen Arbeitnehmern so, weil man sich sagt, der Betreffende sei bereits durch die Krankheit belastet, deshalb wäre es unbillig, ihn die versäumten Arbeitsstunden nachholen zu lassen.
2. Fall
Bei dieser Variante werden Sie vermutlich anderer Meinung als Ihr Dienstherr/Arbeitgeber sein. Deshalb muss ich mich besonders anstrengen, Ihnen seinen Gedankengang zu verdeutlichen. Folgende Situation: Mehrere Schüler einer Klasse sind infiziert, woraufhin auch die restlichen Schüler einschließlich der unterrichtenden (gesunden) Lehrkräfte in häusliche Quarantäne geschickt werden. Um das Unbegreifliche zu erklären, picken wir uns eine Lehrkraft heraus. Obwohl sie von zu Hause Arbeitsblätter an ihre Schüler verschickt, dürfen die ausgefallenen Unterrichtsstunden als Minusstunden gezählt werden, die sie später nachholen muss. Entgegenkommende Schulleitungen können, wenn sie wollen, unterstellen, zu Hause würden schulische Tätigkeiten verrichtet, die über das Übliche hinausgehen, sodass keine Minusstunden anfallen. Aber das müssen sie nicht, und zwar aus folgendem Grund:
Die Arbeitszeit von Lehrkräften ist kaum vernünftig zu berechnen. Natürlich kann man die Pflichtstunden, in denen Unterricht gegeben wird, angeben. Aber das ist ja nicht alles. Hinzu kommen Vor- und Nachbereitung des Unterrichts sowie die Korrektur von Klassenarbeiten. Und eine Kollegin, die Englisch und Französisch unterrichtet, hat mit diesen beiden Korrekturfächern sicher mehr zu tun, als ein Kollege, der nur Sport und Kunst unterrichtet. Das kann und will man nicht aufschlüsseln, sodass die außerunterrichtlichen Tätigkeiten nur ganz grob geschätzt werden. Das bedeutet für unsere fiktive Lehrkraft von vorhin: Das Erstellen und Verschicken der Arbeitsblätter ist nur ein Teil der üblichen außerunterrichtlichen Tätigkeit, der nicht gesondert angerechnet wird.
Aber warum müssen die ausgefallenen Unterrichtsstunden nachgeholt werden? Was kann denn unsere Lehrkraft dafür, dass sie wegen Corona keinen Unterricht abhalten kann? So leid es mir tut, diese zweite Frage zielt in die falsche Richtung. Es geht nicht darum, ob jemand oder wer den Ausfall verschuldet hat. Lassen Sie mich dafür ein plattes, aber hoffentlich erhellendes Beispiel nehmen: Sie haben online bei Amazon (oder wem auch immer) einen Artikel bestellt und bereits bezahlt, das eigentlich gestern geliefert werden sollte. Leider gab es gestern jedoch überraschend Blitzeis und kein Auto konnte sich auf den Straßen bewegen, was dazu führte, dass man nicht an Sie lieferte.
Haben Sie dann trotzdem Anspruch auf eine spätere Lieferung? Amazon konnte doch gar nichts für den Lieferausfall! Natürlich steht Ihnen die Lieferung immer noch zu, weil Sie ja bereits dafür bezahlt haben. Genau so ist die Argumentation des Dienstherrn /Arbeitgebers. Er hat die Lehrkraft für eine bestimmte Zahl an Unterrichtsstunden vorab bezahlt. Davon sind einige ausgefallen. Folglich müssen sie ‒ unabhängig davon, wer für den Ausfall verantwortlich ist ‒später nachgeholt werden. Ich hoffe, der Gedankengang des Dienstherrn wird nun etwas verständlicher, auch wenn die Folgen unangenehm sind. Glücklicherweise gibt es zum Abschluss noch etwas Erfreuliches.
3. Fall
Anders sieht es aus, falls unsere Lehrkraft während des coronabedingten Ausfalls von zu Hause aus echtes „Homeschooling“ betreibt. Wenn sie also z. B. von 8:00 bis 13:00 Uhr vor Ihrem Rechner sitzt und über Zoom, Webex oder Adobe Connect die Schüler unterrichtet, die vor ihren Rechnern sitzen, dann erbringt sie natürlich (in anderer Form, an anderem Ort) ihre Unterrichtsstunden, die ihr entsprechend zu zählen sind.
So, das war’s für heute. Beim nächsten Mal gibt es wieder einen Schulrechtsfall mit Anna Nass und Peter Sielje in der gewohnten Form. Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch ins neue Jahr – und bleiben Sie gesund.
Ihr Dr. Hoegg
Fortbildungen der Cornelsen Akademie
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