Mehr schön als recht – Schreiben in der Schule
Die Schreibkompetenz der Schülerinnen und Schüler verändert sich, dabei werden soziale Unterschiede deutlicher
Schüler/-innen schreiben heute spannender und abwechslungsreicher, aber nicht immer richtig. Dabei hängt es viel von der sozialen Herkunft ab, ob sich die Schreibkompetenz eines Schülers gut entwickelt oder eher auf niedrigem Niveau verharrt. Sprachforscher haben eine Menge Erkenntnisse und Tipps parat, um das Schreibenlernen besser zu verstehen und zu fördern.
„Ey, Alter, war ich gestern Alexanderplatz. Voll krass!“, oder: „Hab ein geschenk 4u“ – wenn die Jugendlichen in ihrem Alltag so sprechen und simsen, dann geht es mit der Schreibkompetenz krass bergab. Oder? Sprachforscher/-innen sind sich da nicht so sicher. Vergleichen sie die Schreibleistungen heutiger Schüler/-innen mit denen früherer Generationen, dann haben sich Orthografie- und Grammatikfähigkeiten zwar verschlechtert, aber dafür ist der Wortschatz gewachsen und die Schülerinnen und Schüler schreiben spannender und abwechslungsreicher. Michael Becker-Mrotzek, Professor für Deutsche Sprache und Didaktik an der Universität zu Köln, fasst das so zusammen: Die Schreibkompetenz verändert sich, wird aber nicht unbedingt schlechter.
Dabei ist „die Schreibkompetenz“ ein schillernder Begriff mit vielen Facetten. Wer im Schreiben kompetent ist, hat nicht nur Rechtschreibung und Grammatik sicher im Griff, sondern verfügt darüber hinaus über das passende Wissen, um seinen Texten inhaltliche Tiefe zu geben, hat einen breiten Wortschatz, baut seine Texte sorgsam auf. Und er hat dabei den Leser gut im Blick: Er trifft bei der SMS an den besten Freund ebenso den richtigen Ton wie im Schreiben an die Schulleitung oder im Artikel für die Schülerzeitung.
Nachholbedarf für Lehrkräfte
Schaut man sich die Entwicklung, die Sprachforscherinnen und -forscher beobachten, etwas genauer an, gibt es Nachholbedarf für Lehrkräfte. Denn es zeigt sich, dass die soziale Situation der Kinder und ihrer Familien einen spürbaren Einfluss auf ihre Schreibkompetenz hat. Wolfgang Steinig, Professor für Germanistik an der Universität Siegen, hat in einer Langzeitstudie die Schreibleistungen von Kindern in den Jahren 1972, 2002 und 2012 miteinander verglichen. Sein Ergebnis: Kinder aus sozial schwächeren Familien hätten einen deutlich höheren Anteil daran, dass die Zahl der Rechtschreib- und Grammatikfehler gestiegen ist. Bei Schülern aus der Ober- und Mittelschicht sei der Wortschatz gestiegen, bei Kindern aus unteren sozialen Schichten hingegen gesunken.
Obwohl auch die Eltern die Schreibfähigkeiten ihrer Kinder unterstützen können, sieht der Sprachwissenschaftler Becker-Mrotzek vor allem die Schule in der Verantwortung: „Unabhängig von ihrem Elternhaus sollen alle Kinder die gleichen Chancen bekommen, ihre Schreibkompetenz zu entwickeln“, sagt er.
Wie man die Schreibkompetenz unterrichtet und fördert, dazu gibt es einige Anregungen jenseits der Klassiker Aufsatz, Interpretation und Analyse.
Die Rahmenbedingungen in der Schule verbessern
Neben den unterschiedlichen Schreibaufgaben erfordere ein erfolgreicher Schreibunterricht auch unterstützende schulische Rahmenbedingungen, stellt der Kölner Professor Becker-Mrotzek fest. Im Idealfall bietet die Schule dafür einen sozialen Rahmen, in den alle Schüler und Klassen eingebunden sind. Beispiele sind regelmäßige Möglichkeiten, die Schülerleistungen zu veröffentlichen und zu präsentieren, im Rahmen von Ausstellungen, Lesungen, szenischen Inszenierungen oder anderen Veranstaltungen.
Eine andere Anregung ist, in der Schule eine Schreibberatung anzubieten. Denn nicht immer sei es wünschenswert, dass die Schüler bei Problemen im Schreibprozess ihren Deutschlehrer um Rat fragen, weil dieser später ja auch die Arbeit benote. Besser sei eine offene Schreibberatung, die allen Schülern zu bestimmten Sprechzeiten offensteht. Dabei könnten ältere Schüler ebenso gut die Beratung übernehmen wie Lehrer.
Die Perspektive wechseln
Kreatives, freies Schreiben kommt bei Schülerinnen und Schülern gut an. Dabei kann man gern auch mal ungewöhnliche Genres ausprobieren, empfehlen Liane Paradies, Wencke Sorrentino und Johannes Greving in ihrem Buch „99 Tipps: Lernstrategien vermitteln“ und nennen als Beispiele Blogs, Comics und Chats. Auch das Wechseln der Perspektive kann die Motivation der Schülerinnen und Schüler beflügeln: Eine leere Stelle in einer Erzählung auszufüllen durch einen Tagebucheintrag, der aus der persönlichen Sicht einer der Figuren geschrieben ist, das ist einer ihrer Vorschläge. Oder eine Gerichtsverhandlung als Setting zu wählen, um ausgefeilte Argumente und Gegenargumente verdichtet aufeinanderprallen zu lassen.
Gemeinsam schreiben
Der Sprachforscher Becker-Mrotzek regt an, beim Schreiben mehr zu kooperieren und das Schreiben auch mal als Teamarbeit zu sehen. Entweder, indem die Schüler gemeinsam die Texte planen, formulieren und überarbeiten, oder, indem sie nacheinander daran arbeiten. Zum Beispiel in einer Schreibkonferenz: Ein Schüler verfasst seinen Text und begibt sich mit diesem ersten Entwurf in die Schreibkonferenz, um dort mit Mitschülern über den Inhalt, den Stil, aber auch die Rechtschreibung zu sprechen. Anschließend überarbeitet er den Text eigenverantwortlich und reicht ihn beim Lehrer ein. Das stärkt nicht nur die Fähigkeit, im Team zu arbeiten, sondern regt auch zum Perspektivwechsel zwischen Schreibern und Lesern an.
Fortbildungstipps
Vielfalt nutzen – Differenzieren im Unterricht (SchiLf)
Sie erfahren, wie Sie durch Verfeinerung, Abstufung und Aufteilung der Lerninhalte auch bei unterschiedlichen Begabungen und sozialen Einbettungen sowie spezifischen Lernbedürfnissen differenzieren können. So finden Sie für jede Schülerin und jeden Schüler den Lernweg mit der größten Erfolgsaussicht.
Lehrkräfte als Lerncoaches (SchiLf)
Sie lernen Modelle des Lerncoachings kennen und üben schulrelevante Coaching-Techniken – immer am praktischen Beispiel. So erfahren Sie mehr über alternative Rollen für Lehrkräfte und neue Fördermöglichkeiten für Ihre Klasse.