Schwimmen nicht mehr auf dem Stundenplan?
Warum der Schwimmunterricht immer häufiger ausfällt und was nach der Pandemie dagegen getan werden kann
Viele Fächer konnten während der Pandemie mehr oder weniger gut auch digital unterrichtet werden, der Schwimmunterricht allerdings musste komplett ausfallen. Tausende von Grundschulkindern haben in den beiden vergangenen Jahren erst gar nicht das Schwimmen lernen können und Jugendliche konnten nicht auf ihre Schwimmerfahrungen aus der Grundschule aufbauen. Jetzt müsste der ausgefallene Schwimmunterricht dringend nachgeholt werden. Ein Unterfangen, das kaum zu meistern ist, haben doch bereits vor den pandemiebedingten Einschränkungen etliche Hindernisse das Schulschwimmen erschwert.
So haben allein in der Zeit zwischen 2000 und 2019 in Deutschland 1400 Bäder geschlossen. Für viele Schulen gibt es mittlerweile kein Hallenbad mehr, das in einer vertretbaren Zeit zu Fuß oder per Bus erreichbar wäre. Laut DLRG haben rund 25 Prozent der Grundschulen keinen Zugang mehr zu einem Schwimmbad.
Dazu kommt: Der Lehrermangel betrifft auch die Sportlehrer/-innen. Und wenn die Personaldecke in der Schule ohnehin schon dünn ist, fällt der Schwimmunterricht am ehesten weg. Denn er bindet zusätzliche Personalkapazitäten, weil immer zwei Aufsichtspersonen vor Ort sein müssen. Mittlerweile fahren zudem viele Kommunen ihre Schwimmbäder wegen der Energiekrise auf Sparflamme oder schließen sie vorübergehend. Keine guten Aussichten also für den Schwimmunterricht. Und keine guten Aussichten für die Chancengleichheit. Denn während Eltern, die es sich leisten können, ihre Kinder zum bezahlten Schwimmunterricht schicken, müssen sich andere Eltern wohl damit abfinden, dass ihre Kinder nicht schwimmen können.
„Alle Schülerinnen und Schüler nehmen verpflichtend am Anfangsschwimmunterricht teil, sofern sie nicht durch ärztliches Attest ausdrücklich davon befreit sind. Es ist bis zum Alter von 10 bis 12 Jahren anzustreben, dass jede Schülerin und jeder Schüler das sichere Schwimmen und die damit verbundenen Fähigkeiten beherrscht“, heißt es vollmundig in einem Papier der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2017 mit dem sperrigen Titel „Empfehlungen der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft und des Bundesverbandes zur Förderung der Schwimmausbildung für den Schwimmunterricht in der Schule“, in dem außerdem betont wird: „Schwimmen ist ein unverzichtbares Erfahrungsfeld im Entwicklungsprozess eines jeden Menschen und begründet sich einerseits aus der Notwendigkeit des sicheren Verhaltens im Wasser gegenüber der Gefahr des Ertrinkens und andererseits aus dem hohen gesundheitsfördernden und freizeitrelevanten Wert dieses Bewegungsraumes.“
Im selben Jahr allerdings hatte eine repräsentative forsa-Umfrage ergeben, dass 59 Prozent der Zehnjährigen nicht sicher schwimmen können. Nun soll es wohl der Bewegungsgipfel richten, zu dem Innenministerin Nancy Faeser und Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Dezember 2022 Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Ländern, Kommunen und Verbänden eingeladen hatten. In der Gipfelerklärung „Bewegung und Sport für Alle“ wird unter anderem der Schulsport – und damit auch das Schulschwimmen - als ein zentrales Handlungsfeld genannt. Was dies bedeutet, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Doch jetzt ist Handeln angesagt und bis es so weit kommen kann, müssen sich Bundesländer, Kommunen und Schulen eigene Konzepte überlegen.
Schulen können sich zum Beispiel Kooperationspartner suchen, sie können Stiftungen und Initiativen ansprechen oder Sportvereine ins Boot holen und versuchen, den Schwimmunterricht als Kompaktkurs oder während einer Projektwoche zu organisieren. Kommunen können sich Lösungen überlegen, um ihre Bäder zu unterstützen und die Länder müssen das, was sie gemeinsam in der KMK empfohlen haben, umsetzen - möglicherweise auch durch Zuschüsse für den Unterhalt der Schwimmbäder.
Gute Beispiele
Tatsächlich haben sich schon einzelne Schulen, Kommunen, Bundesländer, Initiativen und Stiftungen auf den Weg gemacht, um den Schwimmunterricht für Schülerinnen und Schüler trotz all dieser widrigen Umstände zu ermöglichen. Entstanden sind Projekte und Ideen, die vielfältige Anregungen für andere bieten.
- So haben einige Bundesländer zum Beispiel Gutscheine für Schwimmkurse vergeben oder spezielle Schwimmkurse in den Ferien organisiert. In Osthessen hat eine Kooperation aus Bäderbetreibern mit dem DLRG das Programm „Swim4you“ ins Leben gerufen, mit dem das Schwimmkurs-Angebot für Kinder im Grundschulalter ausgebaut wurde. Ähnliche Ziele verfolgt die Initiative „Hessen lernt schwimmen“. Hier wurde außerdem der Schwimmabzeichen-Tag ins Leben gerufen. An diesem Tag standen im vergangenen Jahr in vielen Frei- und Hallenbädern Prüfer bereit, um Schwimmabzeichen abzunehmen. Auch andere Bundesländer griffen die Idee auf, die so erfolgreich war, dass der erste bundesweite Schwimmabzeichen-Tag am 21. Mai 2023 stattfinden wird.
- Eine ehrenamtliche Initiative in Kooperation mit dem Runden Tisch Kinderarmut hat in Tübingen das Projekt „Schwimmen für alle Kinder" ins Leben gerufen. Ziel ist, dass möglichst viele Kinder und Jugendliche aus Familien mit wenig Geld kostenfrei schwimmen lernen. Ein ähnliches Schwimmprojekt wurde auch in Darmstadt mit Unterstützung aus der Wirtschaft gestartet.
- Und in Baden-Württemberg schließlich hatte die Josef Wund Stiftung eine ganz besondere Idee: Sie hat ein fahrendes Schwimmbecken entwickelt, einen sogenannten Schwimmcontainer. Das Schwimmbecken befindet sich tatsächlich in einem Container, der mit einem Sattelzug zu den Schulen kommt. Auch Umkleidekabinen, Duschen und Toiletten sind vorhanden. Für die Kinder ist der Unterricht komplett kostenlos. Angestrebt ist sogar eine kleine Schwimmcontainer-Flotte.
Vielleicht können weitere Stiftungen, Initiativen, Verbände, Kommunen und Bundesländer diesen Beispielen folgen, damit Kinder in ganz Deutschland die Chance bekommen, schwimmen zu lernen.