Unterricht gestalten / 03.11.2021

{Sprachsalon} Braucht es noch Journalisten?

Ein Interview mit David Schraven 

Das Deutschbuch präsentiert den Sprachsalon – Inspirationsquelle für einen spannenden und aktuellen Deutschunterricht. Schwerpunkt dieses Beitrags aus der Reihe ist das Thema Journalismus.

David Schraven
Bild: Cornelsen/Kemnitzmares, Michael Kemnitz

Autor Harald Willenbrock spricht mit dem vielfach ausgezeichneten Rechercheur und Reporter David Schraven über Angler, Skandale und gute Recherche. Außerdem gibt Schraven Praxistipps zum Schreiben von Texten und zum Erkennen von Fake News. Kopiervorlagen zum Thema finden Sie hier.

Naive Frage: In einer Zeit, in der man sich fast jede gewünschte Information im Internet beschaffen kann – wozu braucht es eigentlich noch Journalisten?

Gute Frage. Für Journalisten gilt meiner Meinung nach das Gleiche, was Beuys über Künstler gesagt hat: Jeder ist einer bzw. kann einer sein. Wir leben in einer Welt, in der jeder Journalist sein kann und über Laptop oder Smartphone publizieren kann. Deshalb ist es enorm wichtig, dass die Kompetenz der Teilnehmenden professionalisiert wird. Früher waren Redaktionen die Türwächter, die überprüft en, ob Informationen stimmig und verbreitungswürdig waren. In Zukunft müssen wir das alle selber sein, denn das Internet ist in der Tat voll mit Information und Desinformation, und wir alle sollten in der Lage sein, Quellen überprüfen zu können. Jeder sollte sein eigener Chefredakteur sein.

Welche Methoden muss ein Journalist beherrschen?

Das hängt ganz vom Genre ab, in dem er unterwegs ist, schließlich gibt es da unzählige journalistische Spielarten, die ganz unterschiedliche Kompetenzen erfordern. Ein Investigativjournalist muss stärker in der Recherche sein als, sagen wir, ein Feuilletonautor. Es ist wie beim Angeln: Wer auf Raubfische geht, wird nie im Leben einen Karpfen angeln, während ein Karpfenangler mit seinem Geschirr niemals einen Hecht aus dem Wasser ziehen wird.

Und dennoch gibt es bei Anglern wie bei Journalisten ein paar Gemeinsamkeiten.

Journalisten sind das Fußvolk der Aufklärung. Und zur Aufklärung gehören die Sammlung, die Aufbereitung und die Verbreitung von Informationen. Das sind die drei Grundsäulen unseres Berufs.

Auch Verschwörungstheoretiker sammeln und verbreiten Informationen – oder jedenfalls das, was sie als Information ausgeben.

Stimmt. Der Unterschied liegt darin, ob diese Informationen verlässlich und wissenschaftlich haltbar sind. Als Journalist muss man fundierte Quellenkritik betreiben, die Verlässlichkeit der Studien und Quellen überprüfen. Natürlich kann man dennoch Falschmeldungen aufsitzen, das passiert jedem. Ein Journalist ist kein Atomkraft werk, er kann und darf Fehler machen. Er muss sich nur korrigieren.

Was oder wer ist dann künftig noch Journalist? 

Im Prinzip jeder, der die drei Grundsäulen beherrscht. Ein gutes Beispiel ist für mich Peter Wohlleben, jener Förster, der sich mit den Zusammenhängen im Wald unheimlich gut auskennt – und zudem die Fähigkeit entwickelt hat, so überzeugend davon zu erzählen, dass ihm heute Millionen Menschen zuhören. Auch er leistet hervorragende journalistische Arbeit. 

Bild: Cornelsen/Kemnitzmares, Michael Kemnitz

Rudolf Augstein, der Gründer des „Spiegel“, beschrieb die Aufgabe des Journalisten schlicht als „Schreiben, was ist“.

Es heißt immer, Journalisten sollten „objektiv“ berichten. Aber was ist das überhaupt? Und wie soll es funktionieren? Eine Reportage beispielsweise ist von der Form her bereits subjektiv angelegt: Ein Reporter beschreibt, was er gesehen und gehört hat. Dabei trifft er durch die Wahl seiner Gesprächspartner und der Orte, die er sich anschaut, bereits eine subjektive Vorauswahl. Selbst der Agenturjournalist, der eine nüchterne Nachricht formuliert, tut dies auf Basis persönlicher Grundannahmen. Objektivität? Echt schwierig.

Wir sind im Jahr 1 des Skandals um die Betrugsfirma Wirecard, die deutsche Wirtschaftsjournalisten ganz ausgezeichnet fanden, bis englische Kollegen uns das Gegenteil bewiesen. Ist es angesichts solcher Skandale eigentlich verwunderlich, dass Journalisten ein ähnlich schlechtes Image haben wie Gewerkschafter und Politiker?

Nein, ich finde das absolut nachvollziehbar. Im Journalismus haben sich viel zu viele Leute viel zu lange auf einen viel zu hohes Podest gestellt. Wir sind aber nichts Besonderes, sondern ein ganz normaler Teil der Gesellschaft . 

Warum und wie bist Du Journalist geworden? 

Ich habe mit 16 Jahren in meiner Heimatstadt Bottrop ein Magazin gegründet, um über Dinge zu berichten, die mich interessierten. Es war Mitte der Achtziger Jahre und die Hochzeit der AIDS-Epidemie. Darüber habe ich geschrieben und unheimlich Gegenwind von Behörden bekommen, die das Thema kleinhalten wollten. Daraufhin habe ich mich schlaugemacht, was im Journalismus geht und was nicht – und wer sich da sonst noch herumtreibt. 

Hast Du so etwas wie journalistische Vorbilder? 

Ein ganz wichtiges war der „Zeit“- und spätere „Spiegel“- Journalist Cordt Schnibben, der zum Beispiel über die Verstrickung der Firma Boehringer in den Vietnamkrieg unglaublich kenntnisreiche Recherchen veröffentlichte. Oder Hans Leyendecker, der als investigativer Journalist für „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ zahlreiche Skandale aufdeckte. Diese beiden haben mich von Anfang an beeindruckt. Getreu dem russischen Sprichwort „Schlecht ist der Soldat, der nicht General werden will“ habe ich mich dann aufgemacht, selbst ein derart guter Journalist zu werden – wissend, dass ich es vermutlich nie schaffen werde.

Bild: Cornelsen/Kemnitzmares, Michael Kemnitz

Du hast Deine journalistische Karriere Mitte der Neunziger Jahre als Zeitungsreporter begonnen. Verstehst Du Dich heute noch als Print- oder Onlinejournalist, und spielt das Medium überhaupt noch eine Rolle?

Zu Anfang habe ich von „tageszeitung“ über „Zeit“ bis „Süddeutsche“ ziemlich söldnermäßig für alle geschrieben, die Honorare zahlten. Ich habe dann aber schnell gemerkt, wie sehr mich die Ausrichtung auf ein Format limitierte: Mancher Stoff braucht einfach mehr Platz, als ihn eine Zeitungsseite zu bieten hat. Deshalb habe ich mit ein paar Freunden den Blog „Ruhrbarone“ gestartet, mit dem ich mich von thematischen und formellen Beschränkungen freischreiben konnte. Später, als Recherchechef der Funke-Gruppe, konnte ich zwar auch mal 1000 Zeilen lange Texte schreiben oder Filme drehen, stieß aber auch hier immer wieder an Limitierungen: Wenn man beispielsweise die Mafia-Aktivitäten im Ruhrpott beleuchten will, führt Dich die Recherche über Bochum, Dortmund, Berlin, Sizilien bis nach Spanien. Du bist einen Monat unterwegs und weißt nicht, ob Du mit Verwertbarem in die Redaktion zurückkehren wirst. Das ist einer Regionalzeitung schwer vermittelbar.

Stand diese Erkenntnis am Anfang von CORRECTIV? 

Genau. Mir wurde klar, dass man die Recherche ins Zentrum der Arbeit stellen muss – und die Form, in der man seine Rechercheergebnisse publiziert, von dem Stoff abhängig machen sollte, den man zusammengetragen hat. Wer sagt denn, dass wir Journalisten nur Zeitungspapier voll - schreiben sollen? Niemand! Bei CORRECTIV haben wir daher auch Theaterstücke und Monologe geschrieben, derzeit arbeiten wir an Bildhauerei und Puppenspiel-Stücken. Neue journalistische Formen eröffnen uns ungeahnte Möglichkeiten. 

Wonach genau entscheidet sich die Form, in die Ihr Eure Rechercheergebnisse gießt?

Nach der Zielgruppe – früher hätte man gesagt: den Lesern, die wir mit unseren Informationen erreichen wollen. Unsere Recherchen über die „Weissen Wölfe“ beispielsweise haben wir als Graphic Novel umgesetzt. Über diese Form des Comics konnten wir Leute interessieren, die sich vorher noch nie mit rechtsextremistischem Terror aus einander gesetzt hatten. Aus dem Comic haben wir dann eine Ausstellung gemacht, mit der wir durch die Republik getourt sind, ich bin in vielen Schulen aufgetreten, es gab immer wieder neue Diskussionen. Mit einem journalistischen Artikel in der Tageszeitung hätte ich das nie geschafft . Da hätte ich nur wieder die Katholiken katholischer gemacht.

Wie findet Ihr Eure Themen?

Recherchethemen sind für uns alle, die an die Wurzel unserer Gesellschaft gehen, und wo wir mit Aufklärung und investigativem Journalismus einen Beitrag zu leisten glauben können. Das sind Themen wie Korruption, die „Neue Rechte“, der Klimawandel, Migration. Und dann überlegen wir, wo bei dem jeweiligen Thema für CORRECTIV der Ankerpunkt liegen könnte.

Auf welche journalistische Leistung von CORRECTIV bist Du besonders stolz? 

Auf unsere Recherchen in der Cum-Ex-Affäre. Zusammen mit Partnern in ganz Europa konnten wir aufdecken, wie die europäischen Volkswirtschaft en jahrelang über sehr komplizierte Bankgeschäft e ausgeplündert worden sind. Dafür haben wir mit Journalisten aus Dänemark, Spanien, Großbritannien, Frankreich recherchiert und sind mit verdeckten Reportern ins Herz der Finanzwirtschaft vorgestoßen. An dieser Recherche waren drei Dutzend Journalisten über zwei Jahre beschäftigt, die Kosten über alle Länder hinweg beliefen sich auf mehr als zwei Millionen Euro. 

Weiß man als Journalist, welche Geschichten beim Leser ankommen, welche ihn interessieren? 

Gute Frage. Über den Cum-Ex-Skandal haben wir Printgeschichten, Radionachrichten und Fernsehbeiträge produziert, mit denen wir unterm Strich 50 Millionen Menschen alleine in Deutschland erreicht haben. Das ist groß. Auf der anderen Seite recherchieren wir durchaus auch mal für eine winzige Zielgruppe. Im Skandal um die „Alte Apotheke“ in Bottrop beispielsweise, die gepanschte Krebsmittel verkauft e, haben wir für die Frau eines verstorbenen Krebspatienten recherchiert, ob ihr Mann unwissentlich zu den Opfern gehört hatte. Wir konnten nachweisen, dass ihr Mann keine gestreckten Zytostatika bekommen hatte und also nicht gestorben war, weil er nicht ordentlich behandelt worden war. Es war sehr emotional und tränenreich, als wir seiner Witwe bei uns im Büro unsere Rechercheergebnisse vorstellten. Aber es war wichtig für sie – und damit auch für uns. 

Welchen Scoop würdest Du gern landen, von welcher Enthüllung träumst Du? 

Hm, ich bin kein Scooper. Aber den materiellen Beweis im Fall Maddie zu liefern, wie es offenbar der Staatsanwaltschaft Hannover gelungen ist: Das würde ich gern. 

Und wo endet für Dich das journalistische Interesse? 

Dort, wo es nur ums Privatleben und die Skandalisierung um der Skandalisierung willen geht. Wenn Helene Fischer einen neuen Lover hat, ist das definitiv ihre Privatsache und kein Thema für Journalisten.

Bild: Cornelsen/Kemnitzmares, Michael Kemnitz

David Schraven ist vielfach ausgezeichneter Journalist. Er ist Gründer und Leiter des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV, das durch investigative Reportagen systematische Missstände und ethisches Fehlverhalten innerhalb der Gesellschaft aufzudecken versucht. Als Geschäftsführer der Reporterfabrik trägt Scharven aktiv zur Aus- und Fortbildung von Journalisten bei. Mit Buergerakademie.info betreibt er zudem die größte digitale Plattform für Medienkompetenz-Schulungen in Deutschland.

 

Harald Willenbock ist Texter und Autor in Hamburg, ist Mitglied der brand eins-Redaktion, Mitgründer und Co-Redaktionsleiter des Outdoor-Magazins WALDEN, Autor bei GEO, A&W, NZZ-Folio und anderen.

Praxistipps von Journalist David Schraven

  • Sieben Regeln für eine gute Reportage
  • Fake News: Woran erkennt man seriöse Informationen im Netz?
  • Fünf Tricks, mit denen ein Text definitiv besser wird

Passend zum Thema: Kopiervorlagen für Klasse 8-10

Deutschbuch Gymnasium - Wahrheitsbegriff und Fake News - Kopiervorlagen

Deutschbuch Gymnasium

Wahrheitsbegriff und Fake News

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