{Sprachsalon} Die Redekünstlerin
Interview mit Sabrina Effenberger
Argumente finden und Standpunkte vertreten beherrscht Sabrina Effenberger aus dem Effeff. Die Lehrerin und Nachwuchspreisträgerin der Deutschen Debattiergesellschaft versteht es, sich in verschiedenste Themen hineinzudenken und andere von ihrer Position zu überzeugen. Aber was macht gutes Debattieren aus? Gibt es Regeln? Und wie holt man eine erfolgreiche Debatte in den Schulunterricht?
Autor Harald Willenbrock spricht mit der Nachwuchspreisträgerin der Deutschen Debattiergesellschaft darüber, was gutes Debattieren ausmacht. Kopiervorlagen zum Thema finden Sie hier:
Frau Effenberger, wenn das hier kein Interview, sondern eine Debatte wäre: Was wäre ein guter Einstieg?
In eine Debatte starte ich meist mit einem konkreten Beispiel. Neulich haben wir beispielsweise über geschlechterneutrale Sprache debattiert. Meinen Beitrag begann ich mit dem Beispiel meiner Mutter: Wenn die jetzt ihren kompletten Sprachgebrauch auf den Kopf stellen soll, kann man sich leicht vorstellen, wie das bei einer Frau ihrer Generation ankomme… Einstiegsbeispiele wie diese müssen nicht immer autobiografisch sein, sollten aber so gewählt werden, dass sie möglichst jede und jeden mitnehmen.
Worin genau liegt der Unterschied zwischen einer Diskussion und einer Debatte?
Debatten sind sportliche Wettbewerbe, die wie jeder Wettbewerb nach definierten Regeln ablaufen. Ein weiterer Unterschied: Bei einer Debatte geht es nicht darum, eine konstruktive Lösung zu finden, sondern darum, möglichst virtuos zu debattieren und den eigenen Standpunkt überzeugend rüberzubringen. In einer Diskussion hingegen würde ich auf den anderen zugehen, eine gemeinsame Linie oder einen Kompromiss zu finden versuchen.
Erklären Sie mal die wichtigsten Regeln eines Debattierwettbewerbs.
Bei den Campus-Debatten – das ist so etwas wie die Champions League der deutschen Debattierer/-innen – gilt für jede Rednerin und jeden Redner eine feste Redezeit von 7 Minuten. Zwischenrufe sind lediglich während der Minuten 2 bis 6 erlaubt und dürfen maximal sieben Worte umfassen. Für Beleidigungen und schlechte Umgangsformen gibt es Punktabzug, für eine inhaltlich saubere Ausführung ebenso wie für überzeugendes Auftreten – Gestik, selbstsicheres Auftreten – Bonuspunkte. Bewertet wird außerdem, ob die strategisch richtigen Argumente gewählt wurden. In der Kategorie „Kontaktfähigkeit“ benoten die Jurorinnen und Juroren u. a., ob Zwischenfragen gut beantwortet und Argumente der Vorredner/-innen berücksichtigt wurden.
Wer definiert solche Debattierregeln?
Im Debattiersport gibt es zwei Formate: die Offene Parlamentarische Debatte (OPD) ist ein deutsches Format, das 2001 von Debattierfreunden des Tübinger Debattierclubs entwickelt wurde. Warum Tübingen? Weil die Tübinger Universität sich als einzige in Deutschland einen Rhetorik-Studiengang leistet. Das Debattieren an sich ist aus England zu uns herübergeschwappt, wo mit dem British Parliamentary Style (BPS) ein konkurrierendes Format existiert. Während beim BPS ausschließlich die argumentativen Leistungen bewertet werden, zählen bei uns auch Rhetorik und Sprache.
Das Ganze ist eine rein schulische bzw. universitäre Sportart, oder?
Tja, die deutsche Meisterschaft wird vom Verband der Debattierclubs an Hochschulen organisiert und war bis zum vergangenen Jahr tatsächlich ausschließlich Schülerinnen, Schülern, Studierenden sowie Doktorandinnen und Doktoranden vorbehalten. Mittlerweile haben wir einige Nicht-Studierende dabei, aber das sind, ehrlich gesagt, Ausnahmen.
Schade, oder? Denn debattieren können ja auch andere.
Ja, schon. Allerdings fehlt einem als Berufstätige auch die Zeit dafür. Seit ich Vollzeit als Lehrerin arbeite, brauche ich meine Wochenenden zum Ausruhen und Unterrichtsvorbereiten. Ich kann nicht mehr wie früher 20 Wochenenden im Jahr zu Debattierturnieren irgendwo in Deutschland reisen, zumal die wirklich anstrengend sind. Da wird von morgens um 8 bis abends um 19 Uhr debattiert, das ist echt anstrengender Denksport, bei dem ich meine geistigen Kapazitäten voll ausschöpfe. Danach geht erst einmal nix mehr.
Bei Wettkampfdebatten werden den Teilnehmenden Themen und Positionen zugelost, die sie vertreten müssen. Welches war Ihr bislang absurdestes Thema?
Die Frage, ob den kanadischen Inuit in den 1990er Jahren Land zugeteilt hätte werden sollen. Das ist sicherlich eine relevante Frage, über die ich aberrein gar nichts wusste. Da war ich echt raus.
Und auf ein Thema wie dieses müssen Sie sich dann binnen 15 Minuten vorbereiten?
Ja. Die Teilnehmenden erhalten zwar zu jedem Thema ein kurzes Factsheet, was bei einem derart fremden Thema aber auch nicht weiterhilft. Im Internet recherchieren oder andere digitale Hilfsmittel benutzen darf man auch nicht. Im besten Fall hat im Team irgendjemand irgendeine Ahnung. Können mir die Teammitglieder nicht helfen, verlege ich mich in meinem Beitrag auf grundlegendere Gedankengänge. Das geht immer.
Welche wären das beim Thema Landzuteilung für die Inuit?
Ich würde z. B. grundsätzliche Überlegungen entwickeln, was passiert, wenn einer Bevölkerungsgruppe Land geschenkt wird.
Verstricken Sie auch Freundinnen, Freunde und Familie in verbale Ringkämpfe?
Wahnsinnig ungern. Zum einen diskutieren andere ob meiner Debattiererfahrung sehr ungern mit mir, weil sie glauben, ich würde ständig irgendwelche Strategien oder Tricks anwenden. Dabei mache ich das gar nicht, zumindest nicht bewusst. Und ich kann zwar ganz gut debattieren, gut diskutieren kann ich deshalb noch lange nicht.
Wie sind Sie persönlich zum Debattieren gekommen?
Dadurch, dass sich die Heidelberger Debattier auf einer Erstsemester-Veranstaltung vorstellten. Ich dachte, das wäre gar nichts für mich, mein Vater aber meinte: „Diskutieren kannst Du ja, geh’ da doch mal hin!“ Nach zwei Wochen war ich bereits auf meinem ersten Turnier, wo ich sang- und klanglos unterging. Aber ich bin dabeigeblieben.
Was hat das Debattieren mit Ihnen gemacht?
Es hat mich komplett verändert. Ich bin durch das Debattieren sozialisiert worden. In der Debatte ist jede Meinung akzeptiert – eine Erfahrung, die wiederum dazu führt, dass ich mich und meine Meinung selbst besser hinterfragen kann. Das Debattieren hat mir außerdem viel Selbstbewusstsein gegeben. Ich weiß heute, dass ich zu jedem Thema Substanzielles sagen kann. Selbst zur Landverteilung an die Inuit.
In den Randbemerkungen, um die wir Sie gebeten hatten, nennen Sie als ein Thema, über das Sie ungern debattieren wollen würden, ein Abtreibungsverbot. Ihre Begründung: Das Thema sei zu emotional. Aber sind Emotionen nicht eigentlich der perfekte Treibstoff für engagierte Debatten?
Stimmt. Ich habe meine besten Debatten gehalten, wenn ich emotional wurde. Sie müssen aber bedenken, dass Teilnehmenden einer Debatte die Themen zugelost werden, ich also möglicherweise Positionen vertreten und Punkte anführen müsste, die manche der Zuhörenden verletzen könnten. Und das würde ich beim Thema Abtreibung genauso ungern tun wie beim Thema Vergewaltigung.
Gibt es ein Thema, das Sie seit einer Debatte anders sehen als vorher?
Ich bin von einer Vegetarierin zur Veganerin geworden, weil ich das Thema fleischlose Lebensweise nicht komplett durchdenken und durchdiskutieren konnte, ohne bei einem konsequenten Verzicht auf tierische Produkte zu landen.
Stimmt das Postulat des Essayisten Joseph Joubert, nach dem der Zweck einer Diskussion nicht der Sieg, sondern der Gewinn sei?
Absolut. In Debatten möchte ich gewinnen, denn da geht’s um Punkte. Aber beim Diskutieren geht es darum, neue und überraschende Gedanken zu erfahren und möglicherweise zu übernehmen. Mit Lernenden passiert das ständig, u. a. deshalb bin ich so gern Sozialkundelehrerin.
Wie endet eine Debatte eigentlich im besten Falle? Mit dem Eingeständnis der einen Seite, dass die andere Recht hat? Mit allseitiger Erschöpfung? Mit einem Zeitlimit, das sich die Teilnehmenden setzen?
Mit Akzeptanz. Also der Erkenntnis, dass wir zwar keine gemeinsame Linie finden, uns in manchen Punkten aber dennoch einig sein können.
Trainieren Sie das Debattieren regelmäßig?
Nein, denn ich betreibe den Sport aus Spaß an der Freude. Aber ich weiß, dass andere ihre Beiträge aufzeichnen, analysieren und beispielsweise Füllwörter herausfischen oder ihre Argumentationslinien schärfen. Es gibt einen ganzen Haufen an Trainingsmaterialien. Und was auch dazugehört: sich rundum zu informieren und sich eine Art Allgemeinbildung zuzulegen. Sie ist der Fundus, aus dem wir bei nahezu jedem Thema schöpfen können – gerade bei jenen, von denen wir nicht so viel Ahnung haben.
Wo und wie finde ich als Anfänger Debattierpartnerinnen und -partner – oder sagt man eher: Debattengegnerinnen und -gegner?
Letztendlich braucht man beides. Schließlich tritt man als Team gegen andere Teams an. Am ehesten findet man Gleichgesinnte im Debattierclub. Die gibt es inzwischen an fast jeder Hochschule. Auf der Seite des VDCH e. V. (vdch.de) gibt es eine Landkarte, auf der die meisten Standorte mit Kontaktdaten verzeichnet sind. Ansonsten sind Lehrkräfte inzwischen gute Ansprechpersonen. An vielen Schulen gibt es auch das Format „Jugend debattiert“.
Gibt es begnadete Debattierende, die Sie als Vorbild bezeichnen würden?
Barack Obama. Er schafft es, Menschen auf einer sehr persönlich-emotionalen Ebene zu erreichen. Das Gegenmodell ist Robert Habeck: wahnsinnig belesen und gut informiert, aber leider auch wahnsinnig unemotional.
Mit ihrem Rednerinnentalent müssten Sie eigentlich ebenfalls in die Politik gehen, oder?
Wenn ich drüber nachdenke, komme ich schnell zu dem Schluss, dass Politik gar nicht so viel mit Rhetorik, aber viel mit Ellenbogen zu tun hat. Und das wäre nicht meins. Viele Debattierende sind aber als Redenschreibende und in den Politikberatungen tätig, einige kandidieren aktuell sogar für den Bundestag.
Warum dauern Debattenbeiträge gerade 7 Minuten?
Gute Frage. Anfängerinnen und Anfänger schaffen zunächst nur 3 Minuten, dann 5. Mit einiger Übung merken Debattierende dann, dass 7 Minuten sehr kurz sind und sich problemlos eine halbe Stunde füllen ließe. Aber 7 Minuten sind auch für Zuhörende ein guter Mittelwert.
Was bevorzugen Sie: digitale oder Live-Debatten?
Wir haben jetzt ja eine ganze Pandemie lang über Zoom oder Teams debattieren müssen, deshalb kann ich klar sagen: Live-Debatten! Denn digital spürt man die Stimmung im Publikum nicht , hört keine spontanen Reaktionen, nimmt nichts mit. Daher: Es geht nichts über echte Debatten mit echten Menschen.
Wie wirken die Debatten im Bundestag auf Sie als professionelle Rednerin?
Auf mich wirken viele Beiträge sehr gescriptet, was schade ist. Aber die Debatten an sich sind gar nicht so schlecht.
Eine sehr populäre Form der Debatte sind Talkshows von Maischberger, Lanz und Illner, in denen unterschiedliche Protagonistinnen und Protagonisten vor der Kamera aufeinandertreffen. Ist das eine gute Debattenschule?
Nein. Denn vor allem bei Gästen aus dem politischen Bereich geht es meist um die Selbstdarstellung, weniger um das Thema an sich. Eine der Grundlagen der Debatte lautet aber, dass das Sujet im Vordergrund steht, nicht die Persönlichkeit des Debattierenden.
Helfen soziale Medien unserer Debattenkultur – oder bestätigen wir uns dank Facebook & Co. nur noch in unseren Filterblasen?
Soziale Medien machen es auf jeden Fall nicht einfacher. Empfehlen kann ich hingegen die Aktion „Deutschland spricht“, wo Interessierte zunächst acht Fragen zu politischen Themen beantworten müssen – und dann jemanden zugelost bekommen, die oder der die Fragen komplett anders beantwortet hat. Ich habe dort einmal über die deutsche Teilung diskutiert mit einem Herrn im Rentenalter, der in der DDR aufgewachsen ist. Für mich als 1995 Geborene war das ein Stück Geschichte, für ihn immer noch relevant. Supererhellend!
Sie wirken so optimistisch. Der Schriftsteller Robert Lee Frost war in puncto Debatte der eher desillusionierten Auffassung: „Die Hälfte der Welt besteht aus Menschen, die nichts zu sagen haben, und die andere Hälfte aus Menschen, die nichts zu sagen haben und weiter darüber reden.“
Etwas Ähnliches habe ich kürzlich beim Triell der drei Kandidatinnen und Kandidaten für das Bundeskanzleramt gedacht. Andererseits haben wir Debattiersportler von vielen unserer Themen ja auch wenig Ahnung – und sprechen dennoch über sie. In einer Demokratie darf jede und jeder mitreden, auch ohne Expertin oder Experte zu sein. Ich würde die Lage also nicht so pessimistisch sehen wie Frost.
Sie sind jetzt Lehrerin für Deutsch und Sozialkunde. Was haben Sie sich in puncto Debatte für die Schule vorgenommen?
Ich habe mir vorgenommen, aus meinen Schülerinnen und Schülern denkende Menschen zu machen, die in der Lage sind, sich ihre eigene Meinung zu bilden und diese auch zu vertreten. Also zu lernen, wo sie Informationen finden, wie sie sie bewerten und welche Werte sie bei ihren Entscheidungen leiten. Dieses Handwerkszeug ist mir wichtiger, als dass sie den Namen unseres Bundespräsidenten oder den Dienstsitz des Bundesverfassungsgerichts aufzählen können.
Was denken Sie: Wie können Lehrende wie Sie bei Schülerinnen und Schülern die Lust am Debattieren wecken?
Erstens, indem wir ihnen die Angst vor der Note nehmen und Freiraum für ihre eigene Meinung lassen. Meist kriegen die Schülerinnen und Schüler nach wenigen Stunden raus, was ich wähle, und sind dann versucht, mir nach dem Mund zu reden. Zweitens, indem wir sie miteinander ins Gespräch zu bringen versuchen, anstatt der Lehrkraft ihre Meinung mitzuteilen. Daran scheitere ich aktuell mit meinem Leistungskurs noch, aber das kriegen wir schon hin.