„In Maker Education steckt viel von moderner Bildungshaltung“
Selbstwirksamkeit und interessengeleitetes Lernen sind entscheidend
Vor gut zwanzig Jahren entstanden in den USA die ersten Makerspaces, offene Werkstätten – meist im universitären Kontext –, in denen Menschen sowohl mit herkömmlichen als auch mit digitalen Werkzeugen gemeinsam etwas Konkretes entwickeln und produzieren konnten. Schnell entwickelte sich daraus eine weltweite Bewegung. Allein im deutschsprachigen Raum gibt es unterdessen rund 340 Makerspaces. Seit einiger Zeit haben Schulen das Konzept Maker Education für sich entdeckt. Was heißt das konkret und was bringt die sogenannte Maker Education den Schulen? Das haben wir die beiden Autorinnen des Buches „Maker Education und Makerspaces in der Schule“, Kristin Narr und Hannah Bunke-Emden, gefragt.
Aus meiner Kindheit kenne ich noch Handarbeit und Werken, heißt das heute Maker Education?
Kristin Narr: Maker Education kommt tatsächlich aus einer anderen Richtung als Handarbeit und Werken und hatte zunächst gar nichts mit Schule oder Bildung zu tun. Wir möchten sie aber mehr in der Schule verankern, weil wir denken, dass es für Schule insgesamt sehr interessant ist. Es geht in erster Linie ums Selbermachen und um das gemeinsame Zusammenarbeiten. Dabei spielen auch verschiedene Techniken und Technologien eine Rolle. Werkzeuge, die nicht unbedingt üblich sind, wie zum Beispiel der 3D-Drucker oder der Lasercutter. Es kommen also neue Fabrikationsformen ins Spiel. Ganz entscheidend dabei ist aber die pädagogische Haltung. Es geht nicht darum, dass alle Kinder das Gleiche machen müssen, sondern eher darum, dass die Schülerinnen und Schüler Lösungen finden und selbst auf Ideen kommen können. Die Lehrerinnen und Lehrer sind eher begleitende Personen, die auch gar nicht unbedingt selbst die Antwort parat haben oder bestimmte Vorgehensweisen vorgeben. Es wird eher gemeinsam geguckt: Wie können wir das jetzt lösen? Das unterscheidet Maker Education vom klassischen Werkunterricht.
Handwerkliche Techniken entdecken und neue Technologien einsetzen
Maker Spaces werden ja von Erwachsenen betrieben und genutzt. Wie ist eigentlich die Verknüpfung zur Schule entstanden?
Kristin Narr: Wenn Bildungsmenschen etwas Interessantes mitbekommen – vielleicht auch selbst in einem Makerspace aktiv sind – dann sagen sie: „Oh, das könnte ja auch für meine Zielgruppe interessant sein.“ Und dann beziehen sie dieses „Neue“ methodisch, didaktisch oder inhaltlich auf Bildungskontexte. Hinter Maker Education steckt eine sehr moderne Haltung und progressive Pädagogik, bei der es darum geht, dass Kinder in Freiräumen selbstgesteuert und spielerisch kreativ sein können und dabei – begleitet durch erwachsene Personen – handwerkliche Techniken entdecken und neue Technologien einsetzen.
Wie kann man Maker Education überhaupt in die Schule integrieren? Schule ist ja nun, anders als Freizeitpädagogik oder das freiwillige Treffen von Erwachsenen, sehr stark strukturiert.
Hannah Bunke-Emden: Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Wenn die Lehrkräfte Maker Education einführen wollen, dann finden sich auch Möglichkeiten. Wenn ich zum Beispiel in den Naturwissenschaften ein geeignetes Thema durchnehme, dann kann ich auch ein konkretes Making-Projekt integrieren, das gar nicht viel Materialien oder Ausstattung braucht. Man kann sich das als Praxisprojekt in einer Unterrichtseinheit vorstellen. Und dann kann ich natürlich auch über Projekttage innerhalb der Klasse und vielleicht auch innerhalb der Schule oder über ganze Projektwochen nachdenken, die unter einem bestimmten Motto stehen und bei denen dann Maker Education in den Fokus gestellt wird. Und wenn man groß denkt, kann es auch Thema in der Schulentwicklung sein, dass nämlich Maker Education in den Schulalltag integriert wird – sei es im Ganztagsangebot oder auch im Unterricht. Und dass die Schülerinnen und Schüler in bestimmten Unterrichtsstunden in den Makerspace gehen oder auch jederzeit die Möglichkeit haben, Projekte in diesem Makerspace umzusetzen.
„Es geht um die Haltung, die dahintersteckt“
Ist Maker Education für alle Fächer geeignet?
Hannah Bunke-Emden: Natürlich sind manche Fächer für dieses Thema quasi prädestiniert, die MINT-Fächer etwa oder auch Werken und Handarbeit. Aber letztendlich ist es für alle Fächer interessant, denn es geht um die Haltung, die dahintersteckt, es geht um das Selbermachen, es geht darum, kreativ zu sein und Lösungen zu finden. Ein Beispiel, das mir einfällt: Beim Thema Römisches Reich könnten die Kinder bestimmte Gebäude oder Szenarien nachbauen und sich so selbst dem Thema nähern. Im Fach Deutsch etwa geht es darum, Ergebnisse zu präsentieren. Schülerinnen und Schüler könnten also zum Beispiel ihr Produkt präsentieren und erklären, was sie dabei gelernt haben, oder sie formulieren eine Anleitung für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Es lassen sich also sehr viele Anknüpfungspunkte zu den klassischen Fächern finden. Und natürlich ist Maker Education auch eine Einladung, fächerübergreifend zu denken.
Geht es dann eigentlich nur darum, etwas Praktisches, Schönes zu gestalten oder geht es um mehr?
Kristin Narr: Das praktische und schöne Gestalten steht eher am Anfang als Einladung. Im Grunde genommen geht es aber oft um kreative Problemlösungen. Auch das Thema Nachhaltigkeit ist eine wichtige Fragestellung, weil wir es natürlich mit sehr materialreichen Projekten zu tun haben. Es sollen ja nicht unbedingt Sachen aus neuen Materialien produziert werden und es soll auch bei der Produktion kein neuer Müll entstehen. Viele Dinge werden also noch einmal benutzt. Oder es geht um Reparaturen. Wenn sie eine Nähmaschine bedienen können, sind die Schülerinnen und Schüler in der Lage, ihre Kleidung zu reparieren, zum Beispiel.
Tipp: Makerspaces in der Region besuchen
Hannah Bunke-Emden: Geeignet ist ein Raum, der verschiedene definierte Arbeitsbereiche hat. Viele Schulen haben passende Orte, wo zum Beispiel kleine Gruppentische angeordnet werden können. Wir denken außerdem an Laptops und Tablets oder auch Nähmaschinen oder programmierbare Nähmaschinen und auch an traditionelle Werkzeuge, je nachdem, wo der Schwerpunkt angesiedelt ist. Es muss nicht sofort ein teurer Lasercutter sein, aber es kann ja auch durchaus sein, dass es jemanden gibt, der ein solches Gerät zur Verfügung stellt.
Wie kann sich eine Schule, die noch keinen solchen Makerspace hat, diesem Thema nähern?
Kristin Narr: Bevor in der Schule ein Makerspace errichtet wird, lohnt es sich, einmal in der eigenen Region zu schauen, wo es hier bereits Makerspaces für Erwachsene gibt, die man besuchen kann. Im Internet findet man dazu Karten mit den verschiedenen Orten. Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, mit den Leuten vor Ort zu reden, die in der Regel mehr Erfahrung und Ahnung haben als die Lehrkräfte. Und sie teilen sehr gern ihr Wissen. Ein Tipp dazu: Auch Vereine in der Jugendarbeit, im außerschulischen Bereich und selbst Bibliotheken haben zunehmend Makerspaces.
Problemlos mit kleinen Projekten beginnen
Was können die Lehrkräfte aus Ihrem Buch in ihren schulischen Alltag mitnehmen?
Hannah Bunke-Emden: Wir hoffen, dass die Leserinnen und Leser erkennen, dass es gar nicht so schwierig ist, mit Maker Education in der Schule zu beginnen und dass sie problemlos mit kleinen Projekten anfangen können. Deswegen haben wir auch einige Praxisprojekte vorgestellt. Es ist als solide Einführung gedacht, die Lust zum Ausprobieren macht.
Eine abschließende Frage noch: Was bringt Maker Education für die Schülerinnen und Schüler, für die Lehrkräfte, für die Schule insgesamt?
Kristin Narr: In Maker Education steckt viel von moderner Bildungshaltung und progressiver Bildung in dem Sinne, dass wir uns möglichst vom engen Fächerkorsett lösen wollen und dass wir zu mehr Projektarbeit in Schule kommen wollen. Dass wir mehr über Selbstwirksamkeit und interessengeleitetes Lernen nachdenken, was Kindern ja eigentlich in die Wiege gelegt wird, nämlich dass sie von dem ausgehen, was sie machen wollen. Deswegen wollen wir entsprechende Anlässe schaffen, damit Kinder selbst den Mut haben, etwas zu machen und auch gemeinsam Lösungen entwickeln.
Zur Person
Kristin Narr ist seit über zehn Jahren selbstständige Bildungspraktikerin mit medienpädagogischem Fokus. Zusammen mit ihrem kleinen Team erarbeitet sie Konzepte für zeitgemäße Bildungsangebote, berät Bildungseinrichtungen, konzipiert Workshops und führt Projekte für verschiedene Alters- und Zielgruppen durch. Sie gehört zum Gründungsteam der Leipziger Modellschule (LEMO) und ist Schulleiterin der Gemeinschaftsschule in freier Trägerschaft. Kristin Narr ist Mitherausgeberin des Handbuchs „Making-Aktivitäten für Kinder und Jugendliche“, Mitautorin eines Buches zu „Making im Kindergarten- und Grundschulalter“ und konzipiert Fortbildungen, Online-Kurse und Unterrichtsmaterialien zu Making und Maker Education. Sie führt mit einem großen Team die „Maker Days for Kids“ in Leipzig und Görlitz durch.
Hannah Bunke-Emden hat ein Masterstudium in Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Leipzig mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik abgeschlossen. Seit 2018 arbeitet sie zusammen mit Kristin Narr in verschiedenen Projekten rund um die Themen zeitgemäße Bildung, Medienpädagogik und Maker Education. Ihr Herzensprojekt sind die „Maker Days for Kids“ Leipzig und Görlitz, die sie zusammen mit Kristin Narr durchführt.