Lernblockaden lösen, Konzentration steigern und Unterrichtsstörungen verhindern
Ein Ratgeber zur körperorientierten Stressbewältigung mit vielen Tipps und Anregungen
Wer unter Stress steht, ist nicht besonders handlungsfähig. Das gilt für Erwachsene gleichermaßen wie für Kinder. Sind sie gestresst, kann das erhebliche Auswirkungen auf ihren Schulalltag haben. Sie können schlechter lernen, sich kaum konzentrieren und neigen dazu, den Unterricht zu stören. Gut ist es, wenn Lehrkräfte wissen, wie Stress entsteht, welche verschiedenen Formen es gibt und wie man selbst Stress wieder abbauen kann. Dazu will das Buch „Körperorientierte Stressbewältigung“ beitragen. Wir haben die Herausgeberin Angela Adhikari gefragt, wie Stressabbau im Schulalltag funktionieren kann.

Frau Adhikari, was ist eigentlich Stress?
Angela Adhikari: Bei Stress wird im autonomen Nervensystem ein Alarmzustand ausgelöst. Der kann unterschiedlich hoch sein. Der Mensch wird unruhig, vielleicht auch aggressiv, bekommt Angst und wenn er sich nicht beruhigt, gerät er auf der physiologischen Ebene in eine Art Schockzustand, den sogenannten Freeze.
Der Stress löst sich doch dann wieder irgendwann. Oder nicht?
Angela Adhikari: Das ist das Wunderbare, dass der Körper die Fähigkeit zur Selbstregulation hat. Wenn diese aber nicht einfach ablaufen kann, weil der Stress zu groß ist, dann kann man selbst aktiv werden, um diese Regulation in Gang zu setzen.
Und dann kommt die „Körperorientierte Stressbewältigung“ ins Spiel?
Angela Adhikari: Genau. Vereinfacht gesagt, bedeutet es, dass man das eigene Körpergespür nutzt, um den Stresspegel positiv zu beeinflussen. Diese Methode bezieht sich auf das Konzept Somatic Experiencing®, das der US-amerikanische Traumaforscher und -therapeut Dr. Peter A. Levine zur Behandlung von Trauma-Patienten entwickelt hat. Danach können Menschen über das Nachspüren von körperlichen Empfindungen Stress – und sogar traumatischen Stress - im Nervensystem lösen. Diese Methode kommt jetzt mit der körperorientierten Stressbewältigung in die Schule.
„Es geht gar nicht um das Ereignis, das den Stress ausgelöst hat“
Ziel ist es also diesen Stress aufzulösen, egal was seine Ursache ist?
Angela Adhikari: Ziel der körperorientierten Stressbewältigung ist, dass man souverän durch die hohe Aktivierung im Nervensystem navigiert und sich dabei sozusagen immer wieder erdet. Es geht also gar nicht um das Ereignis, das den Stress ausgelöst hat, sondern darum, wie der Körper reagiert und wie man diesen Stress über den Körper abbauen kann.
Und wie funktioniert das konkret?
Angela Adhikari: Wir haben in unserem Buch ein Schaubild entwickelt, das acht Elemente für den Schulalltag bereithält: Präsenz, Orientierung, Selbst- und Co-Regulation, Ressourcen, Pendulation, Titration und Grenzsetzung. Diese Elemente sind alle miteinander verbunden und bedingen sich wechselseitig. Aber im Grunde kann man bei jedem dieser Begriffe andocken. Beispiel: Co-Regulation. Ich gehe morgens zu Hause los, unterwegs habe ich schon die Befürchtung zu spät zu kommen, oder mein Auto macht komische Geräusche, mein Fahrrad hat einen Platten. Es ist also schon viel passiert, bevor ich überhaupt in der Schule ankomme. Dort sind dann viele Schüler auf dem Flur, es ist wahrscheinlich laut, trotzdem laufe ich jetzt nicht gehetzt oder schlecht gelaunt an ihnen vorbei, sondern ich grüße sie und beginne, Kontakt aufzunehmen. Und so co-reguliere ich die anderen und lasse mich co-regulieren. Das heißt, wir können zusammen unsere Nervensysteme stabilisieren, das geht zum Beispiel gut über den Blick, der uns miteinander verbindet.
Nehmen wir einen anderen Begriff aus Ihrem Modell: Orientierung. Was bedeutet dieser im Hinblick auf die Schülerinnen und Schüler?
Angela Adhikari: Wenn zum Beispiel ein Kind völlig verträumt aus dem Fenster schaut und überhaupt nicht zuhören kann, dann kann ich reagieren. Dabei ist es ganz egal, ob es bei dem Kind zuhause Streit gab oder ob vielleicht die Oma vor zwei Tagen gestorben ist, denn es geht ja nicht darum, was passiert ist, sondern, was hier und jetzt ist. Dann kann ich fragen, was siehst du denn da draußen und dann guckt das Kind schon ein bisschen klarer, und sagt vielleicht „Oh, da ist ein Vogel“. Und schon kann es besser fokussieren, und dann kann man es vielleicht sachte zurückholen in den Raum und dort nach Orientierungspunkten suchen lassen, nach Farben schauen lassen, oder nach Formen: „Nenne fünf blaue Dinge hier im Raum oder fünf runde, fünf eckige.“ Der Blick wird klarer.
„Und dann merkt man plötzlich, dass man fester auf der Erde steht“
Und was bedeutet der Begriff Präsenz in Ihrem Schaubild?
Angela Adhikari: Ein Beispiel: Ich komme als Lehrkraft in die Klasse, und versuche meine Füße auf dem Boden spüren, egal, welche Schuhe ich trage. Was ist das für ein Boden, auf dem ich stehe, ist das ein eher weicher Laminatboden, ist es ein harter Steinboden? Wie fühlt es sich an? Dann kann ich auch die Füße ein bisschen bewegen und ich kann mir erlauben, erst einmal in Ruhe durch die Klasse zu schauen, nicht zu fokussieren, sondern meinen Blick streifen zu lassen. Ich kann mich auch immer wieder freundlich fragen: Wie sitze ich eigentlich? Wie fühlt sich der Stuhl an? Sind meine Beine übereinandergeschlagen? Sind die Füße auf der Erde? Das kann ich auch gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern am Anfang der Stunde machen, oder auch zwischendurch. Dass ich also immer mal wieder gucke, wie geht es mir jetzt gerade? Man kann auch eine Fuß-Übung machen und dabei ganz konkret in die Füße hineinspüren. Beginnend beim großen Zeh. Die Füße stehen auf der Erde. Dann bewegt man alle Zehen nacheinander. Und dann geht man in seiner Vorstellung einmal außen herum um die Füße. Und merkt dann plötzlich, dass man fester auf der Erde steht.
Das sind jetzt Übungsbeispiele, finden sich in Ihrem Buch auch konkrete Fallbeispiele?
Angela Adhikari: Ja, wir haben viele Fallbeispiele gesammelt. Vom Vorlaufkurs bis zur Oberstufe, aus allen Schulformen. Lassen Sie mich nur eines zum Thema Ressourcen erwähnen. Ich habe eine Schülerin mit Lese-Rechtschreibschwäche unterrichtet. Sie konnte nicht auf den Linien schreiben und das Geschriebene war auch nicht zu entziffern. Ich habe aber nicht ihre Fehler markiert, sondern alles, was sie richtig gemacht hat. Das war nicht viel, aber es genügte, um den Stress abzubauen. Denn der Körper verstand, irgendetwas kann ich doch. Bald danach konnte diese Schülerin auf der Linie schreiben. Und wenn sie sich später gestresst fühlte, habe ich sie immer wieder an ihre Erfolge erinnert und sie aufgefordert, diese Erfolge in ihrem Körper zu spüren. Das half ihr, den inneren Druck abzubauen. Das ist nur eines von vielen Fallbeispielen. Daneben gibt es auch eine ganze Reihe von Kopiervorlagen in unserem Buch, die sich wunderbar zum Erlernen von Stressbewältigung nutzen lassen.
Zur Person
Angela Adhikari ist Deutsch- und Religionslehrerinan einer Gesamtschule mit Grundstufe in Hessen. Sie ist interkulturelle Sprachförderin mit Zertifikation Deutsch als Fremdsprache, Schulbuchautorin, Erzählerin und Somatic Experiencing Practitioner.
Fortbildungen der Cornelsen Akademie
Selbst- und Zeitmanagement – Mehr Zeit für's Wesentliche
Sie erfahren von den vielfältigen und individuellen Möglichkeiten des persönlichen Umgangs mit Zeitfressern und wie Sie Ihren Alltag in Zukunft besser bewältigen können.
Resilienz – gelassener Umgang mit Widerständen
Sie erfahren von den vielfältigen und individuellen Möglichkeiten des persönlichen Umgangs mit Widerständen und wie Sie diesen durch Resilienz in Zukunft anders begegnen können.