Für Freundlichkeit und Lob ist immer Zeit
Plädoyer für mehr Wertschätzung in der Schule
Wer seinen Schülerinnen, Schülern, Kolleginnen und Kollegen freundlich und anerkennend begegnet, hat nicht nur selbst einen angenehmen Schulalltag. Er stärkt damit auch die Motivation und die soziale Kompetenz der Schülerinnen und Schüler. Heidemarie Brosche ist Lehrerin an einer Augsburger Grund- und Mittelschule und darüber hinaus engagierte Kinder- und Sachbuchautorin. In ihrem aktuellen Ratgeber „Wie Wertschätzung in der Schule Wunder wirkt“ gibt sie Lehrer/-innen hilfreiche Anregungen für ein warmherzigeres Miteinander.
Interview mit Heidemarie Brosche
Frau Brosche, wie haben Sie selbst zuletzt Wertschätzung in Ihrem Schulalltag erlebt?
Das war sogar heute Morgen, als mir eine Kollegin sagte, sie arbeite gerne mit mir zusammen. Manchmal bekommt man die Nettigkeiten dicke, aber immer wieder passiert es mir auch, dass ich wochenlang gar nichts abkriege.
Welche Art, Ihren Schülerinnen und Schülern Ihre Wertschätzung zu zeigen, ist Ihnen besonders ans Herz gewachsen?
Ich merke oft, wie gut mich selbst Zuwendung und Freundlichkeit durch meinen Schulalltag tragen. Deshalb liege ich eigentlich ständig „auf der Lauer“, um bei meinen Schülerinnen und Schülern Dinge zu entdecken, die ich wertschätzen und würdigen kann. Das fängt beim strahlenden Lächeln an, wenn mir eine Schülerin oder ein Schüler die Tür aufhält – und geht über die Würdigung der neuen Frisur bis zur regelrechten Huldigung, wenn einer sich mit oder um etwas besonders bemüht hat.
Ich sage meinen Schülerinnen und Schülern gern spontan etwas Nettes oder ein ehrliches Lob, und ich drücke meine Wertschätzung durch vielfältige Mimik und Gestik aus. Das ist mir inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen.
Sie sind seit vielen Jahren Lehrerin. Zu Beginn Ihrer Arbeit spielte Wertschätzung wahrscheinlich noch keine große Rolle im Schulleben. Wie haben Sie Ihre Haltung dazu geschärft?
Ich bin von Natur aus ein eher freundlicher Mensch und bin anfangs genau so in den Unterricht gegangen. Meine Schülerinnen und Schüler haben dann schnell gedacht: „Mit der Trotteline kann man Schlitten fahren.“ Bedingungslose Freundlichkeit kommt in der schulischen Realität eben nicht gut an. Aber ich habe zugleich an anderen beobachtet, wie verheerend ein abwertendes, arrogantes Verhalten auf Schülerinnen und Schüler wirkt. So ist mir immer mehr klar geworden, wie Wertschätzung die Schülerinnen und Schüler persönlich und in ihrem Lernverhalten stärkt. Und das habe ich dann Schritt für Schritt für mich umgesetzt.
Sie leben Wertschätzung vor. Aber wie erziehen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler zu einem wertschätzenden Verhalten – in Zeiten von wuterfüllten Facebook-Kommentaren und Mobbing auf WhatsApp und auf Schulhöfen?
Man muss sich als Lehrerin und Lehrer im Klaren darüber sein, dass der eigene Einfluss begrenzt ist. Und Belehrungen bringen da gar nichts. Wenn ich ein gehässiges, abwertendes Verhalten unter meinen Schülerinnen und Schülern beobachte, greife ich das auf und diskutiere es mit ihnen im Unterricht.
Ich bemühe mich, ihnen ein gutes Vorbild zu sein. Aber es gibt leider auch viele Schülerinnen und Schüler, die in ihrem Elternhaus wenig Zuwendung und Wertschätzung erfahren. Deren Eltern so mit eigenen Problemen zu kämpfen haben, dass der Ton entweder extrem rau ist oder eher eine Art Gewährenlassen praktiziert wird. Da kann ich als Lehrerin leider keine Wunder bewirken. Aber ich denke, in kleinen Schritten ist dennoch etwas zu verändern. Immerhin verbringen die Schülerinnen und Schüler ja viele Stunden mit uns in der Schule.
Wie gelingt es, eine wertschätzende Haltung in der ganzen Schule zu leben?
Ich setze da vor allem auf persönliche Gespräche. Bei passender Gelegenheit erzähle ich von meinen Erfahrungen und spreche das Thema Wertschätzung im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen an. Mit Belehrungen und erhobenem Zeigefinger kommt man nicht weit – vor allem nicht unter Lehrpersonal.
Wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen zu tun habe, die mir ganz und gar nicht wertschätzend begegnen, spreche ich sie mit einiger zeitlicher Distanz ruhig darauf an. Bislang war das sehr wirksam. Wichtig ist natürlich auch eine Schulleitung, der Wertschätzung wichtig ist. Da habe ich großes Glück.
Was machen Sie, wenn Ihr Geduldsfaden reißt und Ihnen partout nichts Wertschätzendes einfällt, weil alles an Schülerin oder am Schüler, Elternteil oder Kolleginnen und Kollegen abzuprallen scheint?
Zwar bin ich ein großer Fan guter Worte und bin dabei auch relativ geduldig, aber manchmal rauschen meine Worte einfach so durch Schülerinnen und Schüler hindurch. Wenn ich gar nicht mehr weiterkomme, drücke ich Schülerinnen und Schülern eine Abschreibaufgabe in die Hand, einen nicht allzu langen Text über gegenseitige Wertschätzung. So setzen sie sich noch mal damit auseinander. Das wirkt meist.
Manchmal werde ich aber auch überrascht. Neulich bei einem Klassentreffen bin ich einem Schüler begegnet, der mich vor rund zehn Jahren mit seiner Unruhe und Aufgekratztheit in den Wahnsinn getrieben hat. „Oh Gott, der hat bestimmt nur schlechte Erinnerungen an mich“, schoss es mir durch den Kopf. Stattdessen hat er zu mir gesagt: „Frau Brosche, wissen Sie eigentlich, wie gern ich Sie habe!“ Er hat wohl gemerkt, dass hinter meinen Tadeln und Ermahnungen eine gehörige Portion Zuwendung und Wertschätzung steckte.
Machen Sie Wertschätzung zu einem festen Bestandteil Ihres Schulalltags – so geht’s:
1. Die Schülerinnen und Schüler wertschätzen
Wer sich nicht wertgeschätzt fühlt und Anerkennung vermisst, lernt schlechter. Das geht uns als Erwachsenen so – vor allem aber leiden Kinder und Jugendliche darunter. Schülerinnen und Schüler, die Aufmerksamkeit erfahren, die gesehen und respektiert werden, können ihre Potenziale ausschöpfen und auch mal über sich hinauswachsen.
Im Schulalltag können Lehrerinnen und Lehrer ihre Wertschätzung vielfältig ausdrücken: indem sie Schülerinnen und Schülern ganz unabhängig von deren Leistungen mit Freundlichkeit, Respekt und Verständnis begegnen. Indem sie ehrliches Lob gern äußern und auch unter Stress an die Stärken der Schüler/-innen anknüpfen, statt auf ihren Schwächen herumzureiten. Gelassen und aufmerksam zuzuhören, sich die Zeit und Geduld für persönliche Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern zu nehmen und sich aufrichtig für sie zu interessieren, gehört ebenso dazu.
2. Die Kolleginnen und Kollegen wertschätzen
Die „Droge“ Wertschätzung tut so gut, dass man sie gern auch im Kollegium herumreichen kann. Viele Kolleginnen und Kollegen werden sich über ein ehrliches Lob für eine gute Projektidee freuen und ein Dankeschön, etwa für die Mithilfe beim Wandertag oder beim Schulfest, gern annehmen. Umso besser wird es, wenn die Schule eine Haltung der Wertschätzung für sich verankert: durch ein paar Sätze im offiziellen Schulprogramm, durch eine Plakataktion mit den Schülerinnen und Schülern oder, zum Beispiel, durch ein breites Angebot an Arbeitsgemeinschaften, die die unterschiedlichen Talente der Schülerinnen und Schüler ernst nehmen und fördern.
3. Die Eltern wertschätzen
Wer als Lehrerin oder Lehrer den Eltern wertschätzend gegenübertritt, ist nicht nur professionell auf der Höhe, sondern wird auch pädagogisch mehr erreichen. Denn nur, wenn Lehrerinnen oder Lehrer und Eltern gemeinsam hinter den Lern- und Erziehungszielen stehen, gelingt gute Erziehung.
Meist kommt es erst dann zu einem längeren Gespräch mit den Eltern, wenn etwas in der Schule nicht rund läuft. Dabei tun positive Rückmeldungen über ihr Kind allen Eltern gut. Fällt eine Schülerin durch faires Verhalten gegenüber ihren Mitschülern auf, hat ein Schüler eine Aufgabe gut gemeistert oder sich für ein Fach besonders begeistert – geben Sie ein Lob an die Eltern weiter. Sind doch ernste Problem der Anlass eines Elterngesprächs, machen Sie trotzdem Ihre Wertschätzung für die Schülerin oder den Schüler deutlich und heben Sie auch Positives hervor.
4. Im Laufe des Schultages
Beginnen Sie für sich und Ihre Schülerinnen und Schüler den Tag gleich mit einer Portion Wertschätzung. Sich Zeit zu nehmen für die Begrüßung im Klassenraum und ein paar persönliche Worte, tut allen gut. Vielleicht auch spielerisch, indem Sie und Ihre Schülerinnen und Schüler sich im Kreis einen kleinen Ball zuwerfen. Auch am Ende des Schultages ist es eine gute Idee, in die Runde zu fragen, was die Schülerinnen und Schüler aneinander besonders wertgeschätzt haben oder auch, was ihnen im Unterricht gefallen hat.
5. Im Verlauf eines Schuljahres
Ein Schuljahr hat viele Momente, die sich für eine besondere Wertschätzung eignen. Wie wäre es, gleich zu Anfang des neuen Schuljahres jeder Schülern und jedem Schüler ein kleines Mitbringsel aus den Sommerferien zu überreichen? Eine Muschel vom Strand oder ein landestypisches kleines Spielzeug – vielleicht verbunden mit einem handgeschriebenen Gruß und einer Ermunterung für das kommende Schuljahr.
Auch die Geburtstage der Schülerinnen und Schüler eignen sich gut, um ihnen mit einem kleinen Ritual wie einem gemeinsam gesungenen Lied oder Kuchenessen die Wertschätzung zu zeigen. Es gibt viele Gelegenheiten im ganzen Jahr – werden Sie kreativ!
6. Wenn es mit der Wertschätzung nicht klappt
Trotz aller Bemühungen wird man immer wieder an Grenzen stoßen und das Gefühl haben, dass dem widerborstigen Schüler oder der Schülerin oder dem granteligen Kollegen oder der Kollegin die Wertschätzung, um die man sich so bemüht, herzlich egal zu sein scheint. Erscheint eine Situation im Moment zu verfahren, hilft es, sich einfach mal zurückzuziehen: „Für heute fehlen mir jetzt die Geduld und die richtigen Worte. Lass uns in den nächsten Tagen noch mal darüber sprechen.“ Das bringt oft viel mehr, als sich in eine hitzige Situation hineinzusteigern.
Haben Sie für längere Zeit das Gefühl, auf Ihre wertschätzende Haltung überhaupt keine positive Resonanz zu bekommen, verlieren Sie nicht den Mut. Manche Dinge brauchen Zeit. In der Zwischenzeit gibt es einige Möglichkeiten, sich durch das Tief zu helfen: sich mit gleichgesinnten Kolleginnen und Kollegen auszutauschen, sich durch eine Supervision helfen zu lassen oder sich Lob und zufriedene Schulmomente gedanklich zurückzuholen.
Fortbildungen der Cornelsen Akademie
Gezielt motivieren – gekonnt demotivieren
Wenn Schülerinnen und Schüler gelobt werden, werden sie lebendiger und aktiver. Lob setzt Energie frei. Wird jemand konstant kritisiert, verliert er die Lust, etwas zu tun. Kritik raubt Energie. Um die Freude der Klasse am Lernen zu erhalten, ist es entscheidend, dass das Lob die Kritik überwiegt. Allerdings gibt es klare Notwendigkeiten für Kritik.
Lösungsorientiert Kommunizieren und Handeln (SchiLf)
Sie werden fit für eine lösungsorientierte wertschätzende Kommunikation in Konfliktsituationen. Zudem lernen Sie, wie Sie auf Kritik eingehen und freundlich und konstruktiv auf „Killerphrasen“ reagieren können.
Wertschätzende Kommunikation
In diesem Workshop nähern wir uns der Umsetzung von Wertschätzung in Abgrenzung von Lob und gehen dabei auf die feinen und gleichzeitig wertvollen Unterschiede ein. Gerade im Kontakt mit Schüler/-innen und Kolleg/-innen können dies bereichernde Erkenntnisse sein.
Gewaltfreie Kommunikation im schulischen Alltag (SchiLf)
Sie erfahren, wie Sie mit der gewaltfreien Kommunikation an Ihrer Schule eine Form der Verständigung implementieren, die auf Respekt und Klarheit beruht und das partnerschaftliche Miteinander fördert.